Der Wüstendoktor
warfen sich an der Mauer in den Staub. Niemand sah sie – auch als sie weiterkrochen, weg von den frühstückenden Posten, belästigte sie niemand. Aber erst am Ende der Mauer sprangen sie auf und rannten in die nächste Querstraße. Im Hauseingang einer Lederhandlung blieb Zobel stehen und reichte Katja sein Taschentuch. Sie nickte atemlos und wischte sich den Schweiß vom Gesicht.
»Was nun?« fragte sie.
»Nun vertrauen wir auf Gott und gehen hinüber in die Altstadt. Dort wird uns einer von Dr. Karabaschs lieben Jungs in Empfang nehmen und siehe da – wir kommen Hakim-Pascha immer näher.«
»Sie werden auf uns schießen –«, stotterte Katja.
»Nur, wenn wir uns dusselig benehmen. Bleiben Sie immer hinter mir, Katja – tun Sie alles, was ich auch tue. Nur wenn ich Scheiße brülle, können Sie schweigen …«
Katja lächelte gequält. »Sie sind auch kein Held …«, sagte sie.
»Wer behauptet das? Ich bin Mitglied der Liga für Frieden und Freiheit ohne Waffen!« Zobel drückte seine Mütze mit dem großen Kunststoffschirm tiefer ins Gesicht. »Allez hopp – lassen wir den Zirkus anlaufen.«
Sie kamen gut vorwärts. Die Einwohner von Amman beachteten sie nicht, Soldaten sahen sie nicht bis zum Postamt. Hier allerdings waren Panzer aufgefahren und wurden Barrikaden errichtet.
»Die vorderste Front«, sagte Zobel. »Jetzt werden wir Superhelden und brechen durch. Aber nicht mit Hurra und gezogenem Degen, sondern hintenherum. Wir machen einen weiten Umweg und wandeln am Wadi Amman entlang. Irgendwo ist eine weiche Stelle. Das ist das Schöne im Leben – immer ist irgendwo eine weiche Stelle.«
Sie umgingen die Panzersperren und hörten aus der Innenstadt MG-Feuer und die Einschläge von Granaten. Vier Flugzeuge heulten über sie hinweg und wurden von unten wütend beschossen. Im Wadi aber war es still. Sie schlossen sich einer Eselkolonne an, die friedlich, als gäbe es keinen Bruderkrieg, über die staubige Straße trottete. Vier Treiber liefen nebenher, musterten die Weißen kritisch und duldeten schweigend, daß sie sich zwischen die Esel klemmten und mittrotteten. Nach hundert Metern hatte Zobel eine glänzende Idee. Er warf einem der Treiber ein Geldstück zu, hob Katja auf einen der Esel und setzte sich auf den nächsten. So ritten sie am Wadi entlang und kamen in die Altstadt, ohne beschossen zu werden. Erst in der Nähe der großen Moschee von Aschrafije stoppte eine Patrouille der Guerillas die Eselskarawane. Die Rebellen tauchten plötzlich auf, als kämen sie aus der Erde, schossen wild in die Luft, die Treiber fielen mit dem Gesicht zu Boden und jammerten laut, und Zobel hob die Hand und winkte. »Bleiben Sie ganz ruhig, Katja!« sagte er dabei. »Genau das wollten wir. Sie werden sehen, wie schnell wir jetzt bei Dr. Karabasch sind.«
Er blieb auf seinem Esel sitzen, als die Rebellen ihn umringten und die Gewehre auf ihn richteten. Er tippte auf seine um den Hals hängenden Kameras, rief: »Journal Allemagne«, was ein grausames Französisch war, aber von den Jordaniern sofort verstanden wurde. Ein bis zu den Augen vermummter Mann trat vor, verbeugte sich leicht vor Katja und sagte in einem harten, aber fließenden Deutsch: »Bitte, folgen Sie uns. Wir werden Sie zum Hauptquartier bringen. Erlauben Sie uns, daß wir Ihnen nach ein paar hundert Metern die Augen verbinden –«
»Unsere guten deutschen Universitäten!« rief Zobel und gab dem Guerilla die Hand. »Medizin?«
»Nein. Chemie.« Der vermummte Mann schien zu lächeln. »In Marburg und Freiburg. Schöne Zeit. Aber jetzt ist Krieg.«
In der Nähe des Römischen Theaters verbanden die Rebellen ihnen die Augen. Sie mußten die Esel verlassen und gingen zu Fuß weiter. Katja schien es, als dauerte es noch eine Stunde – mit zitternden Beinen ließ man sie endlich stehen, sie hörte viele Stimmen, Klirren von Waffen, Gelächter, Rufe und Kommandos. Der Geruch gebratenen Fleisches wehte durch die Binde, die Katjas ganzes Gesicht verdeckte.
»Wir sind anscheinend da«, hörte sie Zobels Stimme neben sich. »Sagen Sie noch nichts von Vandura – es kann sein, daß sie ihn verstecken. Wir müssen ihn aufspüren und zufällig sehen …«
Dann war plötzlich wieder der helle Tag vor ihnen, die Binden fielen. Sie standen in dem großen Innenhof eines hohen Gebäudes, umgeben von Guerillas und Jeeps. Der Student aus Marburg winkte. »Mitkommen zu Dr. Karabasch. Schnell.« Zobel legte den Arm um Katjas Hüfte.
»Wir sind
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