Der Wuestenplanet - Paul Atreides
Vorleben wusste Alia, dass Kinder sich gerne Haustiere hielten. Also hatte sie die bewusste Entscheidung getroffen, sich ebenfalls welche zuzulegen, obwohl sie durchaus erkannte, dass sie es aus den falschen Gründen tat.
Alia entfernte die Abdeckung und beugte sich über den Behälter. Sie konnte alle siebzehn Tiere auseinanderhalten, obwohl sie sich nicht der Albernheit hingegeben hatte, jedem einzelnen Spinnentier einen Namen zu geben. Dazu war sie zu wenig Mädchen.
Nur zwei der Tiere bewegten sich. Manchmal beobachtete Alia sie dabei, wie sie Kämpfe um ihre winzigen Reviere ausfochten. Sie waren wie Sandwürmer, die sich an den Grenzen ihrer Territorien begegneten ... oder wie die Armeen ihres Bruders, die in den Schlachten des Djihads zusammenstießen. Der Kampf fand lediglich in einer anderen Größenordnung statt.
Sie griff in den Plazbehälter und erinnerte sich dabei an ein Zieraquarium, das ihre Mutter auf Burg Caladan gehabt hatte ... was lange vor Alias Geburt gewesen war. Aquarium. Ein Wort, das hier auf dem Wüstenplaneten nur selten benutzt wurde. Die Vorstellung eines transparenten Wasserbehälters, in dem Fische als Haustiere gehalten wurden, wäre einem Fremen ziemlich bizarr vorgekommen. Dieses Aquarium enthielt nur Trockenheit und Geschöpfe, die zwischen Sand und Steinen lebten.
Schwarze Skorpione wie diese kamen in den Wüsten von Arrakis am häufigsten vor. In den Sietchs hielten die Fremen sie wegen ihres Giftes, mit dem sie die Klingen ihrer Crysmesser bestrichen. Ihr Stachel injizierte ein außergewöhnlich starkes Toxin, das vielen Giften überlegen war, die von den Tleilaxu benutzt wurden.
Doch Alia machte sich keine Sorgen um Gifte. Sie hatte die Gebärmutter mit den Gedanken und Fähigkeiten einer Ehrwürdigen Mutter verlassen. Als ihre Mutter das Wasser des Lebens zu sich genommen hatte, war Jessicas Biochemie grundlegend verändert worden – und damit auch die ihrer ungeborenen Tochter. Von einem Skorpionstachel hatte sie nichts zu befürchten.
Ihre Finger waren klein wie die eines Kindes und ihre Arme kurz und dünn. Als sie die Hand in den Tank streckte, wichen die schwarzen Skorpione vor ihr zurück und hoben die gekrümmten Schwänze in Verteidigungshaltung. Die Stacheln waren wie hakenförmige Nadeln. Die beiden Spinnentiere, die ihrem Arm am nächsten waren, hoben kampfbereit die Scheren.
Doch Alia bewegte sich langsam, als sie mit der anderen Hand in das Aquarium griff. Vorsichtig ergriff sie die Skorpione einen nach dem anderen hinten an den segmentierten Schwänzen, nahm sie heraus und setzte sie auf ihren Handrücken. Sie ließen es sich gefallen, weil sie es schon oft mit ihnen gemacht hatte. Wenn sie sich über ihren Arm bewegten, spürte sie das Kitzeln ihrer scharfen Beine auf der Haut. Die Tiere hatten keine Angst vor ihr. Darüber musste sie leise lachen.
In ihrem Kopf leisteten ihr viele geisterhafte Freunde Gesellschaft, Schwestern und Vorfahren in Form vollständiger Lebenserinnerungen und Persönlichkeiten, die durch unzählige Jahre und Erfahrungen geprägt worden waren. Trotzdem fühlte sich Alia in der Gegenwart dieser schlechten Spielkameraden einsam. Sie hatte keine wahren Freunde, keine vertraute Freundin, mit der sie kichern oder sich flüsternd unterhalten konnte. Und die Skorpione waren eigentlich auch keine richtigen Haustiere.
Sie hörte, wie jemand erschrocken Luft holte. »Kind, was tust du da?«
Alia hatte sofort Irulans Stimme erkannt und erschrak über die Störung, aber sie drehte sich nicht um.
»War das ein Attentatsversuch, liebe Irulan?«, sagte Alia, ohne den Blick von dem Plazbehälter abzuwenden. »Wenn du mich erschrickst, könnte meine Hand zucken, und die Skorpione hätten vielleicht mit Stichen reagiert.«
Irulan trat vorsichtig näher. »Das war auf keinen Fall meine Absicht, Alia, wie du sehr wohl weißt. Und da du mich immer wieder daran erinnerst, dass du eine Ehrwürdige Mutter bist, könnte kein Gift dir etwas anhaben.«
»Warum hast du dir dann Sorgen gemacht?«
»Ich konnte nicht anders. Ich hatte einfach Angst um dich.«
»Ein derartiger Kontrollverlust könnte darauf hindeuten, dass du einen Teil deiner Bene-Gesserit-Ausbildung vergessen hast. Solltest du nicht an deinem neuen Buch schreiben? Mein Bruder kann es kaum erwarten, es zu lesen.«
»Die Arbeit schreitet gut voran, aber ich bin auf viele Widersprüche gestoßen. Es fällt mir schwer zu entscheiden, welche Version ich als die wahre darstellen soll.
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