Der wundersame Fall des Uhrwerkmanns: Roman (German Edition)
wahr, Mr Hare?«
»Äußerst vorsichtig, Mr Burke.«
»Nehmen Sie, Captain«, forderte Burke den Agenten des Königs auf. »Er gehört Ihnen. Achten Sie darauf, dieses Ende hier, das mit den Wurzeln, jede Woche ein paar Stunden lang in Wasser zu tauchen.«
Burton ging zu seinen Besuchern zurück und nahm die ihm angebotene Waffe entgegen. Sie fühlte sich merkwürdig an, lebendig – was sie, wie er sich vor Augen hielt, im Großen und Ganzen auch war.
»Wenn ich vielleicht ein zweifellos heikles Thema anschneiden darf?«, fragte Burke. »Seit Sie Ihre derzeitige Rolle eingenommen haben, waren Sie für einige Tode verantwortlich. Wir verstehen, weshalb es dazu gekommen ist, und wir unterstützen Sie vorbehaltlos.«
Gregory Hare nickte zustimmend. »Sogar im Fall von Sir Charles Babbage«, fügte er hinzu. »Einer Hinrichtung, die manch einer als grundlos ansehen könnte.«
Burton schluckte. »Ich muss gestehen«, sagte er kleinlaut, »dass ich mich immer und immer wieder frage, ob meine Tat gerechtfertigt war. Habe ich an jenem Tag einen Mord begangen?«
»Nein!«, entgegneten Burke und Hare im Einklang.
»Ich war vor Malaria im Fieberwahn und nicht in der Lage, ein angemessenes Urteil zu fällen.«
»Sie haben die richtige Entscheidung getroffen. Wir hatten Babbage und seine Arbeit davor schon eine Weile im Visier. Er war, was wir in unserer Branche als eine ›sich entwickelnde Bedrohung‹ bezeichnen.«
»Diese Stachelpistole lindert die moralische Last Ihrer Rolle, Captain Burton«, fügte Hare hinzu. »Sie können Ihre Gegner einfach besinnungslos schießen und anschließend uns rufen. Wir bringen sie dann an einen Ort, wo sie verhört und nach Möglichkeit rehabilitiert werden.«
»Das klingt eigenartig ominös.«
Keiner seiner beiden Besucher erwiderte darauf etwas.
Die Uhr begann, die elfte Stunde zu schlagen.
»Spatzenhirne!«, murmelte Pox.
Burton steckte die Kaktuspistole in seine Tasche.
»Danke, meine Herren«, sagte er. »Ich wage zu behaupten, dass sich diese Waffe, so merkwürdig sie sein mag, als ausgesprochen nützlich erweisen wird. Nun zum Geschäft: Haben Sie die Dokumente?«
»Ja«, antwortete Burke.
»Werden Sie eine Prüfung bestehen?«
»Selbst die gründlichste«, erwiderte Hare.
»Wenn Sie dann bitte in meinen Ankleideraum treten würden, meine Herren. Ich schminke Sie und statte Sie mit Kleidung aus, die angemessener für Anstaltsinspektoren ist.«
Hare schluckte hörbar und sah Burke an.
Burke räusperte sich und blickte erst nach rechts, dann nach links, anschließend zu Hare und wieder zu Burton.
»Ich dachte …«, murmelte er. »Ich dachte, wir könnten vielleicht so gehen?«
Burton lachte herzlich. »Vertrauen Sie mir, meine Herren, wenn Sie das Tollhaus so gekleidet betreten, besteht die Gefahr, dass Sie die Anstalt nicht wieder verlassen!«
*
Das Bethlem Royal Hospital war in den Anfängen seiner Zeit ein Kloster gewesen, errichtet von den Schwestern und Brüdern vom Orden des Sterns von Betlehem im Jahr 1247. 1337 wurde daraus ein Krankenhaus. Zwanzig Jahre später begann man, dort Wahnsinnige zu behandeln, sofern man etwas, das im Wesentlichen auf Gewahrsam und Folter hinauslief, als »behandeln« bezeichnen konnte.
Im 17. Jahrhundert erlangte es den Spitznamen »Tollhaus«, der schon bald in den allgemeinen Sprachgebrauch überging und den Aufruhr, die Verwirrung und den Wahnsinn andeutete, der in den Mauern der Einrichtung herrschte. Hundert Jahre später öffnete die Anstalt die Pforten für die Öffentlichkeit und gestattete es den Menschen, mit den Fingern auf die Eskapaden der Wahnsinnigen zu zeigen und darüber zu lachen.
Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts ergriff man Maßnahmen, um die Bedingungen in der Einrichtung zu verbessern. Die Wichtigste davon bestand darin, in neue Räumlichkeiten zu übersiedeln. Allerdings dauerte es nicht lange, bis aus dem riesigen neuen Gebäude eine größere Version dessen wurde, was die Anstalt zuvor gewesen war: eine dunkle, grausame, übel riechende, ohrenbetäubend laute, gefährliche und trostlose Hölle.
Sir Richard Francis Burton stand mitten darin.
Der Direktor des Krankenhauses war ein Mann von durchschnittlicher Größe und Statur mit blassem Gesicht. Er besaß braune weit auseinanderliegende Augen, kurz geschnittenes graues Haar und einen kleinen gestutzten Schnurrbart. Alle paar Augenblicke ließ ihn ein nervöses Zucken den Mund verziehen, den Kopf nach rechts unten schnellen und laut grunzen.
Weitere Kostenlose Bücher