Der wundersame Fall des Uhrwerkmanns: Roman (German Edition)
glaube, in der Staatsbibliothek steht ein Schuyler, falls Sie darin nachlesen möchten. Vielleicht erwähnt der Autor das Phänomen.«
»Danke, Mr Brundleweed. Eine letzte Frage: Sie haben einen Geist gesehen?«
Der Diamantenhändler schaute verlegen drein. Er hüstelte und kratzte sich durch den Bart am Kinn.
»Äh, um ehrlich zu sein, Captain Burton, ich denke, ich muss wohl eingenickt sein und geträumt haben.«
»Erzählen Sie mir trotzdem davon.«
»Na gut, aber bitte berücksichtigen Sie, dass ich mich an jenem Nachmittag seltsam unpässlich gefühlt habe. Ich weiß nicht, warum. Ich bekam Migräne und war eigenartig nervös und zappelig. Aus irgendeinem Grund bildete ich mir ein, dass mein Los höchst unbefriedigend sei, und ich wurde ziemlich trübsinnig. Ich habe dieses kleine Geschäft von meinem Vater geerbt und weder davor noch danach in Erwägung gezogen, etwas anderes mit meinem Leben anzufangen, als den Laden weiterzuführen. An besagtem Nachmittag jedoch erfüllte mich plötzlich Verärgerung darüber. Mich überkam das Gefühl, das Geschäft hielte mich davon ab, etwas Wichtigeres zu tun.«
»Was genau?«
»Das ist ja das Kuriose daran! Ich habe nicht die geringste Ahnung! Allein der Gedanke, den Familienbetrieb aufzugeben, ist in höchstem Maße absurd. Jedenfalls war ich in denkbar schlechter Stimmung, und um vier Uhr – ich erinnere mich an die Zeit, weil die Uhr plötzlich zu ticken aufhörte und ich sie nicht mehr in Gang brachte – beschloss ich, den Laden vorzeitig zu schließen. Die François-Garnier-Kollektion war bereits im Tresor eingeschlossen, aber bevor ich ging, wollte ich sie noch einmal überprüfen. Als ich die Werkstatt betrat, sprang mir die Gestalt einer Frau ins Auge. Ich bin vor Schreck beinah aus der Haut gefahren, das kann ich Ihnen sagen. Sie stand in einer Ecke, weiß und durchscheinend. Dann blinzelte ich, und sie war verschwunden. Sie können mir glauben, danach hatte ich mächtig Angst und verließ das Geschäft in aller Eile, wenngleich nicht, ohne zuvor sorgfältig abzuschließen. Auf dem Heimweg schien mir die frische Luft gutzutun, und die Migräne legte sich. Ich fühlte mich nach und nach wieder wie ich selbst. Als ich durch meine Wohnungstür trat, ging es mir bestens. Ich begab mich früh zu Bett und schlief tief und fest. Erst als die Polizei am nächsten Morgen bei mir klopfte, erwachte ich.«
Burton sah Trounce an. »Vielleicht ein Gas?«, mutmaßte er. »Das Halluzinationen verursacht?«
»Das war auch mein Gedanke«, erwiderte der Ermittler. »Allerdings haben wir jeden Zoll der Böden, Wände und Decken abgesucht, ohne Rückstände oder einen Hinweis darauf zu finden, wie Gas in den Raum geflößt worden sein könnte. Aus dem Keller kam es bestimmt nicht. Der Tunnel vom unterirdischen Fluss her wurde erst Stunden später gegraben.«
Eine ausgedehnte Pause entstand, dann sagte Burton. »Entschuldigen Sie, dass wir Sie so unverhofft überfallen haben, Mr Brundleweed. Vielen Dank für den Tee und die Kekse. Ich hoffe, die Diamanten können sichergestellt werden.«
»Ich vermute, letzten Endes werden sie irgendwo auftauchen, Captain.«
»Und wenn es so weit ist«, meldete sich Trounce zu Wort, »werde ich davon erfahren.«
Die Männer standen auf und gaben einander die Hand, bevor Burton und Trounce gingen.
»Was nun?«, fragte der Ermittler, als sie hinaus auf die Straße traten.
»Tja, Trounce, alter Freund, diese Geschichte hat meine Neugier geweckt, deshalb werde ich mich wohl für den Rest des Tages in Büchern vergraben und sehen, was ich über die Nāga in Erfahrung bringen kann. Und am Mittwoch werde ich meinen Rotorstuhl für einen Ausflug hervorholen.«
»Wohin?«
»Zum Haus der Tichbornes. Auch wenn ich mich lieber dieser Diamantenangelegenheit widmen möchte, Befehl ist Befehl, deshalb sollte ich mich wohl mit dem schon bald entmachteten Ritter unterhalten.«
*
Burton verbrachte einen ungemütlichen Nachmittag in der britischen Staatsbibliothek, wo er in Matthijs Schuylers De Mythen van Verloren Halfedelstenen sowie in einer Reihe anderer Bücher und Manuskripte las.
Er fühlte sich zunehmend krank. Malaria glich einem Erdbeben – auf den ersten verheerenden Ausbruch folgte eine Reihe kleinerer Nachbeben, und eines davon überkam den Agenten des Königs, während er recherchierte. Es begann mit Schwierigkeiten, mit dem rechten Auge scharf zu sehen. Dann fing er zu schwitzen an. Gegen fünf Uhr zitterte er, und ihm war
Weitere Kostenlose Bücher