Der Wunsch des Re
Ramses die Todesurteile für rechtsgültig erklärt und unterzeichnet hatte, wurde ihr Urteil vor den Augen unzähliger Schaulustiger vollstreckt.
ACHT
»Ich muss alles noch genau berechnen und ein Modell bauen«, murmelte Amunhotep mehr zu sich selbst und begann, die überflüssigen Schriftrollen zur Seite zu räumen.
Es war Ende Mesori, der vierte Monat der Erntezeit und damit der letzte des Jahres.
Erschöpft fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht.
»Darf ich dir dabei helfen?«
Erstaunt drehte sich Amunhotep zu seiner Dienerin um. »Aber natürlich«, antwortete er. »Wir haben zusammen begonnen. Warum sollte ich nun auf deine Hilfe verzichten?«
Satra strahlte übers ganze Gesicht.
Seit Wochen hatten sie sich von morgens bis abends mit der Planung des Grabes in Pharaos Tempel beschäftigt. Es bereitete ihr Freude, mit Amunhotep zusammenzuarbeiten. Zwischen ihnen hatte sich nichts geändert. Er war der Herr und sie seine Dienerin. Trotzdem war ihr nicht entgangen, dass ihr Sachverstand nicht nur Amunhotep, sondern auch Ramses Respekt abverlangte. Dank ihres umfangreichen Wissens und baulichen Verständnisses trug sie maßgeblich zum steten Fortschritt der Planung bei. Das wiederum hatte zur Folge, dass sie während ihrer gemeinsamen Arbeit wie eine Gleichgestellte behandelt wurde. Selbst Hekaib hatte sich inzwischen angewöhnt, keine gesonderte Essenration für sie, eine Dienerin, bereitzustellen.
Anfangs hatte sie kaum gewagt, von den guten Gerichten zu essen. Stattdessen hatte sie sich weiterhin von Brot, Gemüse und einem kleinem Stück Fleisch ernährt. Erst als Amunhotep sie immer wieder ermuntert hatte, dieses oder jenes zu probieren, hatte sie ihre Scheu abgelegt und musste inzwischen zugeben, dass das Essen sehr schmackhaft war.
»Doch zunächst«, fuhr er fort, »wirst du dich auf den Weg zum Palast machen und Seiner Majestät die freudige Botschaft überbringen, dass wir die Lösung gefunden haben. Ich räume in der Zwischenzeit auf und beauftrage Hekaib, das notwendige Material für unser Modell zu besorgen. Morgen früh beginnen wir mit der Arbeit.«
»Erst morgen früh?«, rutschte es Satra heraus, und Amunhotep entging nicht die Enttäuschung in ihrem Gesicht.
»Ja, Satra, erst morgen früh. Sowohl du als auch ich, wir beide brauchen etwas Ruhe und vor allem ein paar Stunden mehr Schlaf.«
Ergeben verneigte sie sich und verschwand, um den Auftrag auszuführen.
Inzwischen kannte sich Satra in Theben recht gut aus. Hatte sie in Memphis noch Angst gehabt, allein durch diese für sie völlig fremde Welt zu spazieren, so hatte sich ihre Furcht in den vergangenen Monaten gelegt. Amunhotep hatte ihr erlaubt, sich in ihrer knapp bemessenen Freizeit die Stadt anzusehen, und sie hatte jede freie Stunde dafür genutzt.
Sie eilte geradewegs zum Palastviertel und konnte sich wieder einmal nicht satt sehen an dem bunten Treiben auf den Straßen, Märkten und Plätzen. Menschen der verschiedensten Nationalitäten kreuzten ihren Weg. In der Überzahl waren es Kemiter, die sich mit ihrer beinahe bronzefarbenen Haut deutlich von den Nubiern und Kuschiten unterschieden, deren Haut samtig schwarz in der Sonne schimmerte. Zudem waren die Kemiter um einiges kleiner als die südlich ihrer Landesgrenze beheimateten Menschen. Es begegneten ihr Syrer mit dunklen Kinnbärten und bunten Gewändern, aber auch Angehörige von Stämmen, die die Inseln im nördlichen Mittelmeer bewohnten und durch ihre gelockte Haarpracht aus der Menge hervorstachen, so wie sie selbst. Satra erregte ebenfalls genug Aufmerksamkeit, wenn sie durch die Straßen ging. Vor allem, wenn man in ihr die Frau erkannte. In der Tracht eines Dieners, mit kahl geschorenem Kopf und einer Körpergröße, die beinahe jeden überragte, war sie alles andere als unauffällig.
Sie hatte den Palast erreicht und ließ sich beim Obersten Kammerherrn melden. Lange musste sie nicht warten. Ein königlicher Diener erschien, um sie zu Juri zu bringen, der Satra bereits in Ramses’ Privatgemächern erwartete.
»Komm!«, forderte er sie auf. »Seine Majestät ist gerade erwacht und wird dich sofort empfangen.«
Verstört riss Satra die Augen weit auf und starrte Juri verständnislos an. »Seine Majestät empfängt mich in seinem Schlafgemach?« Ihr blieb die Luft weg.
Der Oberste Kammerherr ignorierte ihre Frage, öffnete die Tür und winkte sie hinein.
»Majestät, die Dienerin des Hohepriesters«, hörte Satra seine
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