Der Wunsch des Re
bereits die ersten grauen Haare zu sehen waren. »Vergib mir, aber angeblich soll der Hohepriester der Prinzessin Bintanat Gewalt angetan haben.«
»Was sagst du da?« Meritusir stand wie von einem Blitz des Gottes Seth gerührt da und glaubte, sich verhört zu haben. »Er hat einer Prinzessin Gewalt angetan? Was genau soll das heißen?«
Unbehaglich zuckte der Getreue die breiten Schultern. »Er soll sie vergewaltigt haben, mehrmals, wenn das Gerücht stimmen sollte.«
»Es kann nicht stimmen!«, antwortete Meritusir entschieden. Ihr war sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen. »Niemals würde Amunhotep so etwas tun.«
Sie drehte sich um und eilte zurück zum Tempel, um mit Netnebu zu reden. Lange musste sie nicht warten. Auch dem Dritten Propheten war diese ungeheuerliche Neuigkeit bereits zu Ohren gekommen.
»Ich flehe dich an, Herr«, beschwor die Wab-Priesterin ihn, »bitte erteile mir die Erlaubnis, nach Theben zu fahren, um dem Hohepriester zu helfen.«
»Und wer kümmert sich um deine Aufgaben hier in Abydos?« Netnebu wusste, dass nur Meritusir den hinteren Teil des Heiligtums betreten durfte.
Ratlos zuckte sie die Schultern. »Niemand, Herr. Ich glaube aber, es wird auch ein paar Tage ohne mich gehen. Selbst wenn Pharaos Bauvorhaben um eine Woche in Verzug geraten sollte, so ist das immer noch besser, als wenn Seine Majestät seinen Einzigen Freund verliert. Amunhotep ist unschuldig. Da bin ich mir sicher.«
»Natürlich ist er das«, bestätigte Netnebu. »Niemals würde er so etwas tun.«
»Dann bitte, Herr, gib mir dein Einverständnis.« Flehend ruhte Meritusirs Blick auf dem Dritten Propheten, der sie nachdenklich musterte.
Die Frau trug ein heiliges Zeichen, das ihr der Große Gott Osiris gegeben hatte. Ihr Schicksal war mit dem von Amunhotep verknüpft. Warum also sollte es ihr nicht gelingen, den Hohepriester vor der drohenden Verurteilung zu bewahren?
Er nickte. »Gut, Meritusir. Ich erteile sie dir und stelle dir eine tempeleigene Barke zur Verfügung, die dich schnell und sicher nach Theben bringen wird.«
»Danke, Herr, die Götter mögen dich beschützen.«
Meritusir verneigte sich tief und verließ den Raum, um in Amunhoteps Haus zu eilen und ihre paar Habseligkeiten für die bevorstehende Reise in eine kleine Truhe aus Schilfgeflecht zu verstauen.
Anschließend begab sie sich zurück auf die Baustelle und teilte sowohl dem Oberst der Wachmannschaft als auch den Vorstehern der Handwerksgilden mit, dass sie umgehend verreisen müsse und erst in ein paar Tagen wieder zurückzuerwarten sei. Sie erklärte den Handwerkern, was in der Folgezeit für Arbeiten zu erledigen wären, und befahl ihnen, bei schier unüberwindbaren Problemen die Bautätigkeiten sofort einzustellen und auf ihre Rückkehr zu warten.
Kurz nach dem Mittag bestieg sie dann ein Boot, das sie in die südliche Königsstadt brachte.
Kaum in Theben angekommen, eilte Meritusir sofort zum Palastviertel, wo man sie problemlos einließ, doch zum Herrn der Beiden Länder vorzudringen, gestaltete sich weitaus schwieriger. Sie hatte geglaubt, dass man sich noch an sie erinnern würde. Die Getreuen wiesen sie aber mit finsterer Miene ab, und auch kein Diener fand sich bereit, Ramses ihre Anwesenheit zu melden.
Bei einem weniger mürrisch dreinblickenden Mann erkundigte sie sich nach Amunhoteps Aufenthaltsort.
»Er wurde in seinem Gemach im Gästehaus unter Arrest gestellt«, antwortete er und beäugte die Priesterin neugierig.
»Ich danke dir«, antwortete Meritusir und atmete erleichtert auf.
Amunhotep war noch im Palast, was bedeutete, dass man bisher kein Urteil über ihn gesprochen hatte.
Sie verneigte sich knapp und ließ den Beamten stehen.
Angestrengt überlegte sie, wie sie es anstellen sollte, zum König vorgelassen zu werden. Drei Männer fielen ihr ein: Thotmose, der Oberste Richter von Theben; Nehi, der Wesir, und Nesamun, Amunhoteps Vater.
Sie entschied sich für Amunhoteps Vater. Dieser würde sie ganz bestimmt nicht warten lassen; immerhin ging es um seinen eigenen Sohn.
Geschwind verließ sie das Palastviertel und begab sich zum großen Amun-Tempel. Auf dem Vorhof hielt sie einen vorübereilenden Priester an, dem sie befahl, unverzüglich dem Hohepriester ihre Anwesenheit zu melden. Meritusir hatte so viel Autorität und Arroganz in ihre Stimme gelegt, dass der Mann sie entgeistert anstarrte, sich dann aber tief vor ihr verneigte und schleunigst verschwand, um den Auftrag auszuführen.
Eine halbe
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