Der Wunsch des Re
passiert.«
»Majestät, das glaubst du doch selbst nicht?«, platzte Meritusir heraus und bekam vor Scham einen roten Kopf. »Verzeih«, entschuldigte sie sich flüsternd für ihre unbedarfte Wortwahl.
Ramses betrachtete sie stumm.
Nein, er glaubte es in der Tat nicht, aber er konnte Bintanats Schwur nicht einfach ignorieren. Ein Schwur war eine ernste Angelegenheit. Es war das Ehrenwort, die Wahrheit gesprochen zu haben, denn wäre es eine Lüge, würde derjenige, der diesen Meineid geleistet hatte, von den Göttern nicht nur in diesem, sondern auch im nächsten Leben mit ewigem Vergessen bestraft werden.
»Was ich glaube oder nicht, geht dich nichts an«, erwiderte er streng, und sie zog den Kopf ein. »Doch wenn du weißt, wie man deinen Gebieter vor einer Verurteilung retten kann, dann sage es mir!«
Meritusir schmunzelte innerlich. Soeben hatte ihr Ramses durch die Blume zu verstehen gegeben, dass er von Amunhoteps Unschuld überzeugt war.
Sie räusperte sich und sah wieder hoch. »Majestät, leider wird sich die Menschheit auch in dreitausend Jahren nicht gebessert haben. Auch in meiner Zeit gibt es noch immer Kriege, Mord, Raub und leider auch Vergewaltigungen. Doch wenn einer Frau so etwas angetan wurde, muss sie vor einem Gericht beweisen, dass sie den Mann nicht dazu angeregt hat.«
Ramses hatte den Kopf schief gelegt und sah Meritusir verunsichert an. »Ich weiß nicht, ob ich verstehe, was du mir sagen willst.«
»Sie muss den Beweis erbringen, dass sie nicht durch ihr Verhalten oder ihr Äußeres einem Mann signalisiert haben könnte, dass sie willig ist. Welche Kleidung trug sie an jenem Tag? Waren ihre Kleider womöglich aufreizend? Oder wie hat sie sich dem Mann gegenüber verhalten? Hat sie Bemerkungen gemacht, die ihn glauben ließen, dass auch sie mit ihm schlafen will. Verstehst du, was ich meine, Majestät?«
»Ich denke, schon. Das bedeutet, dass in deiner Welt diese arme Frau ihre Unschuld beweisen muss, obwohl sie das Opfer ist?« Ungläubig sah Ramses zu der Priesterin und runzelte unwillig die Stirn, während sich seine Miene verfinsterte. »Nein, Meritusir, das ist gegen die göttliche Maat. So eine Vorgehensweise wirst du in keinem Gericht der Beiden Länder finden! Wenn du einen besseren Vorschlag hast, kannst du ihn mir gern unterbreiten, aber du musst dich beeilen. Übermorgen beginnt das Fest von Opet. Bis dahin wird über Amunhotep gerichtet sein. Dir bleibt also nur noch die kommende Nacht. Aber mache mir nicht wieder einen Vorschlag, in dem aus dem misshandelten Opfer ein mit Fragen gequälter Täter wird!«
Mit vor Verlegenheit gesenktem Kopf stand Meritusir da und musste Ramses recht geben. Sie war derselben Meinung wie er, doch sie hatte nichts unversucht lassen wollen, um Amunhotep zu helfen.
Ergeben sank sie auf die Knie, legte Stirn und Handflächen auf den gefliesten Boden und wollte sich rückwärts zurückziehen, als Ramses sie erneut ansprach.
»Wer kümmert sich eigentlich in deiner und Amunhoteps Abwesenheit um mein Ewiges Haus?«
»Vergib mir, Majestät, eigentlich niemand. Ich konnte aber nicht zulassen, dass mein Herr unschuldig verurteilt wird.«
»Das ist verständlich, Meritusir, doch bis jetzt hast du ihm nicht geholfen, und ich muss dir zürnen, dass du unerlaubt deinen dir übertragenen Posten in Abydos verlassen hast. Sollte dir bis morgen Vormittag etwas einfallen, was deinem Gebieter hilft, werde ich von einer Strafe für deine Pflichtverletzung absehen. Anderenfalls trifft dich mein königlicher Zorn. Du darfst gehen.«
Nur noch eine Nacht!, dachte Meritusir verzweifelt, als sie wieder im Freien stand. Und dann wird Amunhotep das Opfer eines Justizirrtums, wenn mir nicht schleunigst eine Lösung einfällt.
Sie wandte sich den Gästeunterkünften zu, wo sie Amunhotep besuchen wollte. Die beiden Wachposten vor seiner Tür musterten sie kritisch und versperrten ihr den Weg, als sie auf sie zutrat, doch Meritusir wusste sich zu helfen. Sie machte kräftig Lärm, bis endlich die Tür aufging und Hekaibs Kopf durch den Türspalt lugte.
»Wie kommst du denn hierher?«, fragte er überrascht und trat auf den Gang.
»Mit einer tempeleigenen Barke. Der Herr Netnebu hat mir die Erlaubnis dazu erteilt.«
»Lasst sie durch!«, befahl Amunhoteps Haushofmeister den beiden Soldaten, die Meritusir noch immer auf Abstand hielten, in harschem Ton. »Sie ist die Dienerin des Hohepriesters und eine Priesterin des Osiris. Also lasst sie vorbei!«
Mürrisch
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