Der Wunsch des Re
kamen die Männer seinem Befehl nach.
Als Meritusir endlich Amunhotep gegenüberstand, wäre sie ihm am liebsten um den Hals gefallen, weil es ihm gut ging. Einzig die dunklen Schatten unter seinen Augen sagten ihr, dass er ein paar durchwachte Nächte hinter sich haben musste.
»Was machst du denn in Theben?«, fragte er überrumpelt von ihrer Anwesenheit in der südlichen Königsstadt.
»Ich weiß, dass du unschuldig bist, Gebieter. Ich wollte dir helfen, aber ich konnte es bisher nicht. Pharao sagt, es wäre gegen die Maat.«
»Ist es nicht auch gegen die Maat, wenn unser Gebieter unschuldig zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt wird?«, entrüstete sich Hekaib und erntete einen tadelnden Blick von Amunhotep. »Verzeih mir, Herr, aber es ist gegen die Maat, wenn du verurteilt wirst und diese Frau ungeschoren davonkommt!«, zeterte er verdrossen weiter, bis Amunhotep gebieterisch die Hand hob.
»Schweig jetzt, Hekaib!«, gebot er streng. »Bintanat hat auf ihren Schutzgott Amun geschworen, dass ich ihr Kleid zerrissen hätte und ihr Gewalt antun wollte. Nur allein der Schwur des Opfers zählt.«
»Aber auch du hast auf deinen Schutzgott geschworen, dass das nicht stimmt«, gab der Haushofmeister schnippisch zurück.
»Und warum zählt dein Schwur nicht?«, erkundigte sich Meritusir verständnislos und sah Amunhotep fragend an.
»Das ist eben so«, erklärte er. »Ich bin der Täter und würde alles tun, um mich vor der gerechten Strafe zu drücken. Also würde ich auch einen Meineid leisten, selbst wenn ich weiß, dass mein Herz dafür beim Totengericht schwerer wiegen wird als die Feder der Göttin Maat. Zur Strafe würde mein Herz dem Ungeheuer Ammit zum Fraß vorgeworfen werden ... Dennoch, ich würde es tun, um meine Haut in dieser Welt zu retten. Also zählt mein Schwur weniger als der der Prinzessin.«
»Es ist eine Schande«, murrte Hekaib. »Ihr beide schwört auf denselben Gott, auf Amun, den König der Götter.« Flehend richtete der Haushofmeister den Blick hoch zur weiß gestrichenen Decke und streckte die Arme anbetungsvoll über den Kopf. »Warum, o Großer Gott Amun-Re, schickst du nicht einen Blitz des Großen Gottes Seth und ...«
»Still, Hekaib!«, fuhr Meritusir ihn an und sah mit leuchtenden Augen von dem Diener zu ihrem Herrn. »Das ist die Lösung!« Sie strahlte übers ganze Gesicht, und kleine Grübchen zeigten sich auf ihren Wangen. »Dein Schutzgott ist Amun und ihrer ebenfalls, und übermorgen beginnt das Opet-Fest.«
Sie wandte den Blick von Amunhotep und trat auf den verdutzt dreinschauenden Haushofmeister zu, umarmte ihn und drückte ihm spontan einen Kuss auf seinen kahl rasierten Schädel. Das Gleiche hätte sie vor Freude nun auch noch gern bei Amunhotep getan, aber er war ihr Gebieter, und so getraute sie sich das nicht.
»Danke, Hekaib!«, rief sie stattdessen. »Der Hohepriester wird Theben als freier Mann verlassen!« Sie ließ den verdatterten Mann wieder los, deutete eine kurze Verbeugung an und stürzte aus dem Raum. »Ich muss sofort zu Seiner Majestät«, rief sie noch beim Hinauslaufen und war auch schon verschwunden.
Verständnislos blieben die beiden Männer zurück und sahen sich an, während sich Hekaib verlegen mit der flachen Hand über die Stelle seiner Glatze strich, wo Meritusir ihm ihre Lippen aufgedrückt hatte.
»Bitte«, beschwor sie wenig später die beiden Wachposten, die den Zugang zu den privaten Gemächern des Pharaos sicherten, »ich muss unbedingt zu Seiner Majestät.« Flehend ruhte ihr Blick auf den Kriegern, die nur stumm den Kopf schüttelten. »Aber ich bin doch vor noch nicht einmal einer Stunde schon einmal hier gewesen, und ihr habt mich passieren lassen«, erinnerte sie sie. »Warum tut ihr nun, als wäre ich euch völlig fremd? Seine Majestät hat mich sogar beauftragt, zurückzukommen, wenn mir eine Lösung für ein bestimmtes Problem eingefallen ist.«
Die Männer antworteten nicht und starrten einfach an ihr vorbei, als wäre sie nicht da. Die Schäfte ihrer Speere waren vor dem Zugang gekreuzt.
Meritusir erkannte, dass es aussichtslos war, noch weiter mit ihnen zu diskutieren.
Enttäuscht drehte sie sich um und starrte blicklos in den parkähnlichen Hof, der von den Gebäuden eingeschlossen wurde. Er war wunderschön, doch dafür hatte sie heute keine Augen.
Mit einem Mal bemerkte sie Sethi zwischen den sauber beschnittenen Hecken im gegenüberliegenden Gang. Er hatte sie bereits entdeckt und steuerte direkt auf sie
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