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Der Wunsch des Re

Der Wunsch des Re

Titel: Der Wunsch des Re Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Dietrich
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die Tränen traten ihr in die Augen. Sie vergrub ihren Kopf zwischen den Knien und gab sich bedenkenlos ihrem Schmerz und ihrer Trauer hin. Nachdem sie sich ausgeweint und wieder beruhigt hatte, streckte sie sich auf ihrem Strohsack aus und fiel bald darauf in einen unruhigen, von Albträumen geplagten Schlaf.
     
    * * *
     
    Am nächsten Morgen eilte Meritusir ins Badehaus, um sich zu waschen. Anschließend holte sie sich ein sauberes Kleid aus ihrer kleinen Truhe, zog es sich an und begab sich zum Heiligen See. Sie war eine Priesterin des Osiris und nahm somit nicht an den Ritualen für den Großen Gott Amun-Re teil, doch sie hoffte, Seine Majestät in Opet-sut zu treffen, wurde aber enttäuscht.
    Verzweifelt steuerte sie auf eine der vielen Statuen des Gottes zu, kniete zum Gebet nieder und bat Amun, ihren Herrn Amunhotep zu beschützen.
    Nachdem sie ihre Gebete beendet hatte, fasste sie kurzerhand den Entschluss, Nesamun nicht mehr aufzusuchen, sondern sich gleich in den Palast zu begeben, denn heute war der letzte Tag vor dem großen Fest für Thebens Schutzgottheit. Würde es wieder so lange dauern, bis der König sie empfing, konnte es für Amunhotep bereits zu spät sein.
    Sie holte sich Brot und ein Stück kalte Entenbrust aus dem Küchentrakt des Tempels und aß beides auf ihrem Weg zum Palast.
    Bei einem geschäftig vorübereilenden Schreiber erkundigte sie sich, wo der König sei.
    Überrascht blieb der Mann stehen und runzelte verärgert die Stirn. »Woher soll ich das wissen«, fuhr er sie missgelaunt an. »Wahrscheinlich wird er sich, wie jeden Morgen, mit seinen obersten Beratern in einem der Audienzsäle treffen.«
    Höflich fragte sie nach dem Weg dorthin und eilte wenig später in die angegebene Richtung.
    Schon von Weitem sah sie die fremdländischen Getreuen, und ihr wurde klar, dass es ihr wieder nicht gelingen würde, die Männer zu überzeugen, Ramses ihre Anwesenheit zu melden.
    Verunsichert, was sie tun sollte, ließ sie ihren Blick über den wunderschön angelegten Innenhof schweifen. Die Gärtner hatten eine kleine Oase aus Blumenrabatten und blühenden Oleanderbüschen angelegt, in deren Mittelpunkt sich ein kleiner Teich befand. Und genau auf Höhe des Teiches im gegenüberliegenden Gang bemerkte sie Prinz Hori. Er war in Begleitung seines Erziehers und eines Soldaten. Wahrscheinlich befand er sich auf dem Weg zum täglichen Unterricht.
    Meritusir überlegte nicht lange. Sie rannte los, denn sie war sich sicher, dass der Prinz ihr helfen würde.
    Sie hastete den Gang entlang an den königlichen Schreibern und ihren Gehilfen vorbei. Manch strafender Blicke traf sie, und einige empörte Ausrufe drangen an ihre Ohren. Als sie um die Ecke bog, stieß sie mit einem Diener zusammen. Er jonglierte ein großes Tablett mit Wein und Gebäck in den Händen, verlor durch den Zusammenprall das Gleichgewicht und stürzte. Polternd fiel das Tablett zu Boden.
    Erschrocken blieb Meritusir stehen und entschuldigte sich.
    Durch den Lärm waren die allgegenwärtigen Wachen jedoch auf die Szene aufmerksam geworden. Zwei von ihnen kamen auf sie und den Diener zugeeilt.
    Einen kurzen Moment lang zögerte Meritusir. Dann rannte sie weiter. Wenn sie den Soldaten in die Hände fiele, konnte sie es vergessen, heute noch den König zu Gesicht zu bekommen. Es ging um ihren Gebieter!
    Hastig schaute sie, wo sich Prinz Hori befand, und entschied sich dafür, die Abkürzung durch den von den Gebäuden eingeschlossenen Garten zu nehmen. Ihr war bewusst, dass andere Wachen sehr schnell auf sie und ihre Kameraden aufmerksam werden und ebenfalls die Jagd auf sie eröffnen würden.
    Gewandt sprang sie über ein paar Blumenbeete, hastete durch ein Gebüsch und befand sich auf einem Rasenstück. Sie wich dem künstlich angelegten Teich aus, der ihren Weg blockierte, während die beiden Soldaten hinter ihr immer näher kamen. Sie konnte ihr Schnaufen bereits hören.
    Ich muss es schaffen! Ich muss es schaffen!, feuerte sie sich selber an. Ich muss schneller sein als sie! Es geht um Amunhoteps Leben!
    »Prinz Hori!«, rief sie, so laut sie konnte.
    Überrascht drehte sich der Knabe in ihre Richtung um.
    Sein Soldat, der erschrocken die Priesterin auf den Prinzen zugestürmt kommen sah, baute sich mit der Hand am Griff seines sichelförmigen Schwertes breitbeinig vor seinem Schützling auf.
    Einer von den drei Wachen kriegt mich!, schoss es Meritusir durch den Kopf.
    Kurz vor dem Leibwächter des Prinzen schlug sie einen Haken,

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