Der Wunschtraummann
es gar nicht? Vielleicht ist es sein Double.
Und wessen Double, bitte, Tess? Irgendeines Typen, den du dir zurechtgeträumt hast?
Dreck. Ich muss hier raus. Und zwar schnell.
Ich verabschiede mich von Ali, stopfe die Diskette in die Tasche und verlasse fluchtartig den Laden.
Wie in dichtem Nebel laufe ich nach Hause. Ich weiß nicht, was ich denken soll, also versuche ich, gar nichts zu denken, sondern stecke mir stattdessen die Kopfhörerstöpsel in die Ohren und drehe meinen iPod voll auf. Vom Bass dröhnt mir das Trommelfell. Sonst schüttele ich immer verständnislos den Kopf, wenn ich in der U-Bahn Leute sehe, denen die Musik aus den Kopfhörern wummert, und frage mich, was die sich dabei denken. Die werden ja taub!
Jetzt tue ich es selbst, und es ist mir vollkommen egal. Dann werde ich eben taub. Na und? Wie es aussieht, bin ich ja ohnehin schon übergeschnappt.
Zu Hause angekommen finde ich Fiona in ihrem kuscheligen Morgenmantel am Küchentisch sitzend vor, mit völlig zerzausten Haaren, das Telefon unters Kinn geklemmt und die Zigarette schräg im Mundwinkel. Nicht gerade das, was man sich von einer Schönheits- und Gesundheitsjournalistin erwarten würde. Und ganz bestimmt nicht, wie sich die Leser ihrer Zeitschriftenkolumne Fiona vorstellen. Auf dem Foto zu ihrer Kolumne sitzt sie im Schneidersitz auf einer Yogamatte, von Kopf bis Fuß in hautenges Stretchzeug gekleidet und mit einem frisch gepressten Orangensaft in der Hand.
»Es ist mir egal, dass heute alle freihaben! Kapieren Sie das nicht? Morgen ist mein Abgabetermin!«, brüllt sie gerade erbost in den Hörer. »Tja, also gut, dann stecken Sie sich Ihre neue Botox-Creme doch sonst wohin!« Und dann schnaubt sie empört und legt auf. »Dämliche PR -Tussi«, meint sie abschätzig, zieht wutentbrannt an ihrer Zigarette und hackt dann entrüstet auf ihre Tastatur ein.
Ich werfe meine Tasche auf den Tisch und lasse mich auf einen Stuhl fallen.
»Schönen Tag gehabt?«, fragt sie geistesabwesend hinter ihrem Monitor hervor.
»Schön und schlimm«, entgegne ich und seufze abgrundtief. »Meinem Opa geht es gut, aber mein Laptop ist kaputt. Wie es aussieht, braucht er eine neue Festplatte.«
»Oje«, sagt sie, ohne von der Tastatur aufzuschauen. »Hast du alles gesichert?«
Wie kann es eigentlich sein, dass man sein Leben lang noch nie von etwas zu einem bestimmten Thema gehört hat, und wenn es dann zu spät ist, reden die Leute plötzlich von nichts anderem mehr?
»Nein, habe ich nicht. Ich habe alles verloren. Einschließlich meines Verstandes«, kann ich mir nicht verkneifen hinzuzufügen, aber sie hört mir gar nicht zu, weil sie viel zu beschäftigt damit ist, wie wild auf die Tastatur einzutippen, ganz zweifellos, um der armen PR -Frau eine erboste E-Mail zu schreiben.
»Ach, bis auf das hier …« Mir fällt die Diskette wieder ein, die ich daraufhin aus meiner Manteltasche fummele und auf den Küchentisch lege.
»Was ist das denn?« Fiona hört auf zu tippen, und ihr Kopf erscheint hinter dem Laptop.
»Keine Ahnung«, sage ich und zucke verzagt die Achseln. »Der Mann im Laden meinte, eine Datei oder so was konnte er retten.« Matt stehe ich auf und schalte den Wasserkocher ein. Ich brauche ganz dringend eine Tasse Tee. Eigentlich bräuchte ich etwas Stärkeres, aber ich weiß nicht, ob es eine so gute Idee wäre, jetzt wieder mit dem Tequila anzufangen. Vor allem, wenn man bedenkt, wo das beim letzten Mal hingeführt hat.
»Schauen wir doch mal …«
Ich drehe mich um und sehe, wie Fiona sich kurzerhand die CD schnappt und in ihren Laptop steckt.
»Tee?«, frage ich und greife nach der Schachtel mit den Beuteln.
Sie hört mich nicht. Sie ist mit den Gedanken ganz woanders. »Ähm … sieht aus wie jede Menge Text …«
Ich mache ihr trotzdem eine Tasse. Ein nett gemeintes Angebot kann Fiona einfach nicht ausschlagen. Was ihre Online-Dates immer wieder eindrucksvoll belegen …
»Warte mal, ich glaube, das ist ein Tagebuch …«
»Ein Tagebuch?«
»Sieht so aus.« Sie schaut kurz zu mir auf. »Ich wusste gar nicht, dass du Tagebuch führst!«
Worauf ich ein bisschen rot werde. »Na ja, mache ich ja auch nicht mehr …«
Die Mikrowelle unterbricht mich mit unvermitteltem Piepsen. »Meine Tom-Yam-Suppe ist fertig«, sagt sie und springt auf. »Es war noch ein bisschen übrig, also dachte ich, ich kann sie genauso gut aufessen – wenn schon, denn schon, hab ohnehin fünf Pfund zugenommen «, murmelt sie kaum hörbar.
Als
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