Der Wunschtraummann
sie ihm rasch aus der Hand.
»Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich reingeschaut habe, um deine Adresse ausfindig zu machen.«
»Nein, nein, natürlich nicht«, stammele ich und drücke die Tasche an meine Brust, wobei mir ein bisschen schwindelig wird. Ich muss mich an irgendwas festhalten. Egal woran.
Es entsteht eine kleine Pause, und da erst geht mir auf, dass Fiona verschwunden ist und nur noch Seb und ich hier stehen. Ich schlucke schwer. Ich muss irgendwas sagen. Ich kann nicht einfach ignorieren, was passiert ist. Oder was gerade passiert?
»Ich wollte bloß sagen …«, bringe ich mühsam heraus. Erwartungsvoll schaut er mich aus seinen blauen Augen an. Verzweifelt ringe ich um die richtigen Worte. »Ähm, ich wollte bloß sagen …«, wiederhole ich und breche dann ab. Ach, wem bitte will ich was vormachen? Es hat keinen Zweck. Es gibt für so etwas nicht die richtigen Worte. Wie soll ich ihm erklären, was ich mir selbst nicht erklären kann? Er würde mich für eine durchgeknallte Irre halten. »Noch mal danke«, stottere ich.
Ganz kurz sehe ich die Enttäuschung in seinem Gesicht aufflackern, aber die ist gleich wieder verschwunden, und er strahlt mich übers ganze Gesicht an. »Nichts zu danken«, sagt er und hebt abwehrend die Hände. »Tja, ich will dich nicht aufhalten …« Er dreht sich um und will gehen, und plötzlich packt mich Panik. »Ich gehe dann mal lieber …«
Er geht. Ich muss ihn aufhalten.
»Okay«, nicke ich wie betäubt. War das alles? Ich werde ihn nie wiedersehen, und mehr fällt mir nicht ein?
»Aber vorher muss ich dich noch etwas fragen«, sagt er und dreht sich noch mal um, und mir fällt ein Stein vom Herzen.
»Ja?«
Er hat die Hände tief in den Manteltaschen vergraben und wirkt ein wenig nervös. Etwas in meiner Brust zieht sich zusammen. »Na ja, ich habe mich bloß gefragt … ob du vielleicht … mal mit mir was trinken gehen möchtest …«
Er bricht ab, schaut mich an, und für eine Sekunde ist es wieder wie vor einem Jahr, als wir uns das erste Mal gesehen haben. In einer überfüllten Bar. Damals drehte ich mich um, wir sahen uns an, und er lud mich zu einem Glas Wein ein, und später fragte er mich, ob wir uns nicht mal treffen könnten. Dieser Augenblick hat mein ganzes Leben verändert.
Diesmal stehen wir allerdings im Flur meiner Wohnung. Andere Zeit, anderer Ort. Aber Seb ist immer noch derselbe. Und ich auch. Es ist alles anders und alles wie zuvor. Ich bin wieder da, wo wir angefangen haben. Wo alles begann.
Nur dieses Mal kann ich verhindern, dass es noch mal passiert.
Ich kann es beenden, ehe es beginnt.
Wie ein Feuerwerk bricht die Erleichterung aus mir heraus. Denk doch nur mal. Kein Liebeskummer mehr. Keine Tränen im Kopfkissen. Nicht mehr die Straße entlanggehen und plötzlich und ohne Vorwarnung überfällt mich die Sehnsucht so heftig, dass es mir den Atem verschlägt. Ich muss vergessen, dass ich ihn je kennengelernt habe, und nun sieht es tatsächlich so aus, als wären wir uns nie begegnet, oder?
Es ist so einfach. So kinderleicht. Warum um alles auf der Welt sollte ich mir diesen Schmerz noch einmal antun? Warum das alles wiederholen, wo ich doch nur höflich abzulehnen und die Tür zu schließen brauche, und dann kann ich weitermachen, als sei nie etwas gewesen? Ich weiß, wie dieses Märchen endet, und sie lebten nicht glücklich bis ans Ende ihrer Tage.
»Also?«, fragt Seb unsicher.
Ich klappe den Mund auf und will ihm schon einen Korb geben. Im Kopf lege ich mir zurecht, was ich sagen will, doch als ich dann in seine vertrauten, blassblauen Augen schaue, stürzen all die alten, nur allzu bekannten Gefühle auf mich ein. Sie sind nie weggegangen, ich habe bloß versucht, sie tief drinnen zu vergraben. Und irgendwas hält mich davon ab, ihn höflich, aber bestimmt abzuwimmeln: die Erkenntnis, dass ich zwar womöglich unsere ganze Beziehung ausgelöscht habe, allerdings nicht meine Gefühle für Seb. Ich liebe ihn immer noch.
Na ja, man kann sich ja nicht so einfach entlieben, oder?
Und dann überkommt mich aus heiterem Himmel ein seltsames Gefühl; eine Möglichkeit, die sich unversehens vor mir auftut. Eine Idee nimmt Formen an, wächst, verfestigt sich … Es erscheint verrückt, aber die ganze Geschichte ist ja auch verrückt.
Was, wenn ich dafür sorgen könnte, dass die Geschichte anders ausgeht?
Was, wenn ich alles tun könnte, von dem ich mir heute wünsche, ich hätte es damals schon getan? Wenn ich alles
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