Der Wunschtraummann
Himmel, flirtet er etwa gerade mit mir?
Perplex starre ich ihn an. Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll. Oder wie ich reagieren soll. Es war ja vorher schon bizarr, aber jetzt …
»Also … darf ich?«, fragt er und weist auf den freien Platz neben mir.
»Ähm, ja«, stammele ich und nicke tumb. Mein Verstand rennt herum wie ein kopfloses Huhn und sucht verzweifelt eine Antwort auf die Frage, was zum Teufel hier vor sich geht. Vielleicht hat ja jemand Seb denselben Rat gegeben, den ich von Fiona bekommen habe. Tun, als existierte ich nicht. Mich einfach vergessen.
Aber selbst wenn, ist das nicht ein kleines bisschen übertrieben ?
»War ich wenigstens nett zu Ihnen?«, fragt er, als er Platz genommen hat.
Verdattert gucke ich ihn an. »Wie bitte?«
»Als wir uns kennengelernt haben?«
Am liebsten möchte ich ihn bei den Schultern packen und kräftig durchschütteln und ihm sagen, er soll sich gefälligst wie ein normaler Mensch aufführen. Ich komme mir vor wie damals, als ich noch klein war. Mein Dad alberte immer herum und tat, als sei er ein furchteinflößendes Monster, und ich fing an zu weinen und flehte ihn an, er solle doch bitte, bitte wieder er selbst sein.
»Ähm …« Verzweifelt überlege ich, was ich sagen soll, doch es hat mir die Sprache verschlagen.
Aber er schaut mich immer noch unverwandt an und erwartet offensichtlich eine Antwort. Als seien wir zwei Fremde, die höflichen Smalltalk machen, statt eines frisch getrennten Paares.
»Ich … ähm … das weiß ich nicht mehr so genau, ist schon eine Weile her.« Gefangen in diesem bizarren, alptraumhaften Szenario muss ich um Worte ringen.
Seb scheint dagegen keine derartigen Probleme zu kennen.
»Tja, ich will doch sehr hoffen, dass ich nett war«, meint er fröhlich, und dann wendet er sich seinem iPhone zu.
Womit das Gespräch dann wohl beendet ist, also lehne ich mich völlig verdattert zurück. Ich kann noch immer kaum fassen, was hier gerade passiert ist. Was immer noch passiert , korrigiere ich mich und linse zu ihm rüber. Vielleicht irre ich mich. Vielleicht ist das Ganze eine Verwechslung. Heißt es nicht, jeder habe irgendwo auf der Welt einen Doppelgänger? Vielleicht ist das ja der von Seb.
Unter gesenkten Lidern linse ich zu ihm hinüber. Er schaut noch immer gebannt auf sein iPhone, und mein Blick folgt den vertrauten Umrissen seines Gesichts; dieselben dichten blonden Haare und akkurat gestutzten Koteletten; dasselbe ausgeprägte Kinn mit dem sexy Grübchen; dieselbe Angewohnheit, geistesabwesend die Augenbrauen hochzuziehen, wenn er sich auf irgendwas konzentriert …
Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Derselbe Name ist eine Sache. Äußerliche Ähnlichkeit eine andere. Aber dieselben Eigenheiten?
»Ich habe das Display kaputt gemacht.« Sich laut mokierend dreht er sich zu mir um und ertappt mich dabei, wie ich ihn anstarre.
Erschreckt fahre ich auf. »Wie bitte?«, frage ich rasch, greife nach meinem Pony und versuche, mich dahinter zu verstecken.
»Beim Snowboarden«, erklärt er achselzuckend und weist auf das zerschmetterte Glas-Display seines iPhones. »Ich habe versucht, mir einen Termin im Laden in der Regent Street geben zu lassen, aber da ist in den nächsten drei Wochen nichts mehr frei. Also bin ich schnell hierhergekommen.«
Er redet mit mir, als sei alles vollkommen normal, als hätte er nichts von meinem Unbehagen bemerkt. Als habe er nicht bemerkt, dass ich es bin . Tess. Das Mädel, mit dem er früher aneinandergeschmiegt wie zwei Löffelchen eingeschlafen ist. Fassungslos starre ich ihn an. Was zum Teufel geht hier vor sich?
»Hallo, Miss Connelly?«
Ich schrecke zusammen und sehe Ali, den Computerfachmann, vor mir stehen.
»Oh, hi.« Ich versuche, mich zusammenzureißen.
»Ich glaube, ich habe da was gefunden«, wispert er mit dringlicher Stimme. »Alles andere wurde komplett gelöscht, aber das hier hatte sich in den Untiefen der Festplatte versteckt, beinahe hätte ich es übersehen …« Verstohlen schaut er sich nach allen Seiten um, und als er sich vergewissert hat, dass uns niemand beobachtet, greift er mit einer Hand in die Tasche. »Es ist eine Word-Datei, ich habe sie Ihnen kopiert.« Rasch drückt er mir eine Diskette in die Hand, als stecke er mir Hehlerware zu. »Viel ist es leider nicht …«
»Oh, danke«, sage ich und lächele dankbar. »Das ist wirklich sehr nett von Ihnen …«
Ich verstumme, als ich merke, wie Seb neugierig zu uns rüberschaut. Oder ist er
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