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Der Wunschtraummann

Der Wunschtraummann

Titel: Der Wunschtraummann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Potter
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sie dann durch die Küche geht, lasse ich den Tee stehen und flitze an ihren Computer. Und tatsächlich, dort auf dem Bildschirm ist ein Tagebucheintrag vom 4. Januar 2011:
    Liebes Tagebuch,
    heute war mein erstes Date mit Seb! Wir waren in Chelsea was trinken …
    Ich sehe seinen Namen und höre auf zu lesen. Die Worte tanzen vor meinen Augen.
    Was zum …?
    Schlagartig wird mir erst heiß und dann kalt. Für den Bruchteil einer Sekunde ist alles ruhig, und dann überschlagen sich meine Gedanken und werfen meinen Verstand hin und her wie eine Nussschale auf einem aufgewühlten Ozean. Aber in dem ganzen Lärm kann ich einen Gedanken doch laut und vernehmlich hören: Dann bin ich wohl doch nicht verrückt geworden. Ich habe mir das alles nicht bloß ausgedacht. Ich habe ihn mir nicht eingebildet.
    Ich hatte also doch recht, denke ich.
    »Siehst du, habe ich es dir nicht gleich gesagt«, rufe ich Fiona triumphierend zu, als ich schließlich die Sprache wiedergefunden habe.
    »Was hast du mir gesagt?« Mit der Suppenschale in der Hand dreht sie sich zu mir um.
    Gerade will ich sie schon vor den Laptop zerren und ihr den endgültigen Beweis liefern, als mein Blick auf einen Absatz etwas weiter unten auf der Seite fällt und ich lese:
    … und Fiona hat sich ein neues Kleid für ihr Online-Date nächste Woche gekauft. Es ist superkurz und supereng und so seltsam schweinchenrosa. Irgendwie sieht sie darin ein bisschen wie eine Presswurst aus. Sie hat mich gefragt, ob das Kleid sie dick macht, und ich habe gelogen und Nein gesagt …
    »Ähm, gar nichts«, stammele ich und drücke rasch auf Auswerfen. »Ist bloß altes Geschreibsel, nichts Wichtiges.«
    Und damit schnappe ich mir die Diskette, lasse Fiona in Ruhe ihre Suppe essen und sehe zu, dass ich aus der Küche verschwinde.
    Ich verdrücke mich in mein Zimmer und setze mich auf die Bettkante. Flea quiekt empört, weil ich seinen Schlummer auf dem Federbett störe, aber ich bin zu fahrig, um ihn auf den Arm zu nehmen. Stattdessen bleibe ich einfach reglos sitzen. Ganz vage merke ich, dass die heiße Teetasse mir in den Handflächen brennt, ich kann mich jedoch nicht rühren.
    Ich kann gar nichts tun. Es kommt mir vor, als würde mein Hirn jedes kleinste Fitzelchen Energie aufsaugen und sich dabei doch immer nur im Kreis drehen wie das kleine regenbogenbunte Rädchen an meinem Computer. Verzweifelt versucht es, all die seltsamen, unerklärlichen Ereignisse der vergangenen Tage zu verarbeiten: wie Seb mich im Starbucks einfach übersehen hat, Fionas Reaktion, die Reaktion der anderen … In meinem Hirn höre ich eine Kakophonie von Stimmen wie eine undeutliche Tonbandaufnahme. Fiona: »Welcher Seb?« Opa: »Ich kenne keinen Sebastian!« Mum: »Den hast du noch nie erwähnt.« Alle plärren durcheinander und verbinden sich zu einer einzigen Stimme … und dann sehe ich Seb, wie er neben mir sitzt und mit mir redet und ich ihm in die Augen schaue und kein Fünkchen des Erkennens darin sehe. Es ist, als wüsste er wirklich nicht, wer ich bin.
    Aber das ist doch unmöglich! Was ist denn dann mit dem Tagebuch? , mischt sich eine weitere Stimme in meinem Kopf ein. Es ist meine eigene, und sie lässt mich stutzen.
    Aus meinen Überlegungen gerissen stelle ich den Tee auf den Nachttisch und fange dann an, in dem Schränkchen herumzukramen. Es muss doch irgendeinen Beweis dafür geben, dass wir zusammen waren, etwas Greifbareres als ein paar Worte auf einer Diskette. Ein altes Foto, eine Karte, die er mir geschrieben hat, irgendwas … Hektisch krame ich in den Schubladen herum. Die sind vollgestopft mit Gerümpel: alte Lippenstifte, ein Vorrat an Ohrenstöpseln, Ersatzknöpfe neuer Tops und Blusen, mit denen ich nie weiß, wohin … Aber nichts, was mich mit Seb in Verbindung bringt. Kein gemeinsames Foto, keine Karte von ihm, nichts.
    Natürlich werde ich da nichts finden, sage ich mir dann. Ich habe doch eigenhändig alles weggeworfen, schon vergessen? Ich wollte ihn doch unbedingt vergessen. Darum habe ich all seine SMS gelöscht, seine E-Mails und seine Facebook-Seite. Darum habe ich sämtliche Erinnerungsstücke an Silvester im Kamin verbrannt.
    Und bei dem Gedanken regt sich eine verschwommene Erinnerung – das Bild eines Mannes schießt mir durch den Kopf. Er war im Fernsehen und hatte bunte Glitzerhörnchen auf dem Kopf. Wie hieß er noch gleich? Er redete über Brauchtum. Angestrengt wühle ich in meinen tequiladurchtränkten Erinnerungen und versuche krampfhaft, mich

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