Der Wunschzettel - Be Careful What You Wish For
Labyrinth aus Stationen und Korridoren, doch am Ende werde ich auf die Intensivstation geschickt, wo ich Rosemary auf einem Plastikstuhl im Flur vorfinde. Die Handtasche auf dem Schoß, den Blick stur geradeaus gerichtet, sitzt sie da, die Lippen geschürzt, die Kiefermuskulatur angespannt, das Gesicht vollkommen ausdruckslos. Beim Klang meiner Schritte dreht sie sich um.
»Heather, da bist du ja - endlich.« Es trifft mich bis ins Mark, dass in jedem Wort, das über ihre Lippen kommt, ein Vorwurf zu liegen scheint. Ohne ihre Handtasche loszulassen, steht sie auf, zögert jedoch kurz, als wäre sie unsicher, wie sie mich begrüßen soll. Schließlich drückt sie mir verlegen einen Kuss auf beide Wangen. Sie riecht irgendwie künstlich, nach Raumspray. Ich stehe stocksteif da, die zu Fäusten geballten Hände in den Taschen vergraben, und bohre die Nägel in die Handflächen, spüre jedoch keinen Schmerz.
»Wo ist mein Dad?« Ich will ihn jetzt nicht Lionel nennen. Er ist mein Dad. Mein Fleisch und Blut. Meines, nicht deines, denke ich und starre Rosemary trotzig an.
»Er ist auf der Intensivstation.«
»Ich will ihn sehen.«
»Das dürfen wir noch nicht. Die Ärzte -«
»Ärzte? Was wissen die schon?« Erinnerungen an meine Mutter branden in mir auf.
Rosemary ist entsetzt. »Heather, bitte.« Sie versucht, mich mit einer Geste zum Schweigen zu bringen. »Dein Vater hat einen schweren Infarkt erlitten.«
Meine Kehle wird eng, und mit einem Mal schlägt all die Liebe, die ich für ihn empfinde, in Wut auf sie um. »Wie?«, herrsche ich sie vorwurfsvoll an. »Wie ist das passiert? Du lebst mit ihm zusammen, also musst du dich auch um ihn kümmern!« Schon als die Worte aus meinem Mund kommen, weiß ich, dass ich wie ein Miststück klinge. Es ist nicht ihre Schuld - niemand ist schuld. Aber ich kann mich einfach nicht beherrschen. Es ist, als würden all die Kränkungen und der Groll der vergangenen Jahre auf einmal wie Blasen an die Oberfläche steigen.
Doch Rosemary reagiert nicht. Ihr Gesicht mit den rosig geschminkten Wangen und der gepuderten Nase bleibt ausdruckslos. »Heather, du bist aufgebracht«, sagt sie steif und streicht ihren Rock glatt, ehe sie sich wieder hinsetzt. »Ich habe alles getan, was ich konnte. Gleich als es passiert ist, habe ich einen Krankenwagen gerufen. Die Notärzte waren wirklich gut …«
Ich spüre, wie sich ein enormes Gewicht auf meine Schultern legt und mich zwingt, mich ebenfalls zu setzen - wenn ich es nicht tue, drohe ich zu straucheln.
»… aber er hatte zweimal während der Fahrt einen Herzstillstand. Sie mussten ihn sofort in den OP bringen …« Sie lässt den Rest des Satzes im Raum verklingen, als hätte sie zu große Angst, ihn zu beenden, und umklammert ihre Handtasche noch fester.
Und dann verfallen wir in Schweigen.
Die schreckliche Situation, die uns einander eigentlich näherbringen müsste, vergrößert die Kluft zwischen uns nur noch. Statt uns gegenseitig Trost zu spenden, sitzen wir wortlos Seite an Seite auf den harten, unbequemen Plastikstühlen und starren auf die senfgelb gestrichenen Wände. Zwei Menschen, getrennt durch die Angst und eine Million unüberwindliche Meilen.
Kurz darauf lässt mich das Klappern der Feuertür abrupt den Kopf wenden. Ein älterer Herr in grüner OP-Kleidung und passender Kopfbedeckung kommt auf uns zu.
»Mrs. Hamilton?« Er sieht uns mit ernster Miene an.
Das ist es also. Die Angst schnürt mir den Atem ab. »Ich bin Miss Hamilton, die Tochter«, bringe ich hervor.
Er reicht mir die Hand. »Ich bin Mr. Bradley. Ich habe die Angioplastie an Ihrem Vater vorgenommen.«
Als er spricht, scheint seine Stimme zu verblassen, als gehe er durch einen langen Tunnel. Alles, was ich höre, ist mein eigener Atem, ein und aus, wie die Wellen am nicht einmal einen Kilometer entfernten Strand. Und dann fällt mir ein, wie Lionel mir beigebracht hat, im Meer zu schwimmen. Meine Arme steckten in leuchtend orangefarbenen Schwimmflügeln, seine starken Hände hielten mich in der Taille fest. »Ich lasse dich nicht los, Heather, ich lasse dich schon nicht los«, dröhnte er wieder und wieder. Aber natürlich tat er es doch, und es gelang mir, an der Wasseroberfläche zu bleiben, indem ich aus Leibeskräften mit Armen und Beinen strampelte.
So wie ich jetzt an der Oberfläche bleibe, sage ich mir und zwinge mich, ins Hier und Jetzt zurückzukehren, als Rosemary die Frage stellt, vor der ich mich zu sehr fürchte. »Wie geht es
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