Der Wunschzettel - Be Careful What You Wish For
etwas Magisches. Es ist genauso, wie die alte Zigeunerin gesagt hat, als sie mir den Heidekrautzweig gegeben hat: Benutzen Sie ihn weise, dann wird er Ihren Herzenswunsch erfüllen.
Eine einzelne Träne fällt auf meine Hand wie ein Regentropfen. Dann die nächste und noch eine. Dicke Tränen, die über meine Wangen strömen, meinen Blick verschwimmen lassen und über mein Gesicht kullern, bis ich so heftig schluchze, dass mein ganzer Körper geschüttelt wird. Denn erst jetzt weiß ich, was die alte Zigeunerin mir damit sagen wollte. Aber ich war nicht weise, sondern unvorsichtig, sorglos, unverantwortlich und verdammt idiotisch.
Tja, aber das wird sich jetzt ändern.
Und genau hier, in diesem kleinen Krankenzimmer auf der Intensivstation, vor dem Hintergrund des piepsenden Überwachungsmonitors, sage ich meinen letzten Wunsch - der einzige, der wirklich von Bedeutung ist.
Ich wünschte, mein Vater bliebe am Leben.
Ich bin nicht sicher, wie lange ich dort gestanden und die Hand meines Vaters gehalten habe, aber irgendwann kommt der Arzt herein, löst behutsam meine Finger und sagt mir, ich soll nach Hause gehen und ein wenig schlafen, mein Vater brauche jetzt viel Ruhe.
»Es geht mir gut.«
»Sie sehen völlig erschöpft aus.«
Entschlossen schüttle ich den Kopf. »Ich gehe nicht nach Hause. Ich werde ihn nicht allein lassen.«
»Ihre Stiefmutter hat genau dasselbe gesagt«, meint er mit einer Handbewegung Richtung Korridor, wo sie noch immer wartet.
»Wirklich?« Das überrascht mich. Ich hätte gedacht, dass Rosemary die Nacht zu Hause verbringen wollen würde. Sie liebt doch ihren Komfort so sehr.
»Lionel hat Glück, Sie beide zu haben«, fährt der Arzt freundlich lächelnd fort. »Und Sie haben Glück, einander zu haben. In einer Zeit wie dieser ist die Familie sehr wichtig.«
Ich habe Rosemary bisher nie als Teil meiner Familie betrachtet: Für mich war sie stets ein Eindringling, eine Außenstehende, die nicht zu uns gehört. Und zum ersten Mal dämmert es mir, dass sie das vielleicht auch gespürt hat. »Danke, Doktor.«
»Gern geschehen.« Er führt mich zur Tür. »Aber sagen Sie später bloß nicht, ich hätte Sie nicht wegen des entsetzlichen Kaffees hier gewarnt.«
KAPITEL 42
»Soll ich uns einen Kaffee holen?«
Rosemary, deren Blick auf den abgetretenen Linoleumboden geheftet war, sieht auf, als sie meine Stimme hört. Ihre Augen sind vom Weinen gerötet.
»Obwohl der Arzt gesagt hat, er würde nicht besonders gut schmecken«, füge ich mit einem nervösen Lächeln hinzu.
Wir sehen einander einen Augenblick lang an, und es ist, als beginne die unsichtbare Mauer zwischen uns ein ganz klein wenig zu bröckeln. Nicht viel, nur weit genug, um uns zu gestatten, einander zum ersten Mal zu sehen.
Sie lächelt zögerlich. »Das wäre nett. Brauchst du Geld?« Sie greift nach ihrer Handtasche, aber ich halte sie davon ab.
»Meine Brieftasche muss hier irgendwo sein.« Ich wühle mich durch all den Kram in meiner Handtasche, bis ich meine Geldbörse gefunden habe, deren Kleingeldfach jedoch leer ist. »Kannst du einen Zehner wechseln?« Ich ziehe einen Geldschein heraus und wedle hoffnungsvoll damit.
»Nimm meine Geldbörse«, sagt Rosemary und hält sie mir hin. »Das Kleingeld ist im Seitenfach.«
»Bist du sicher? Vielleicht könnte ich jemanden fragen …«
»Ich mag Rentnerin sein, aber einen Kaffee kann ich dir trotzdem ausgeben«, bemerkt sie. »Und wenn er wirklich so mies schmeckt, wie der Doktor sagt, werden wir ohnehin keinen zweiten kaufen müssen.«
Lächelnd nehme ich ihre Geldbörse entgegen und mache mich auf die Suche nach einem Automaten. Nach ein paar Minuten entdecke ich einen in einem Warteraum voll erschöpfter, ängstlich dreinblickender Besucher. Einige sitzen in Grüppchen beisammen, andere blättern mit Kaffeebechern in der Hand in alten Frauenzeitschriften. Wieder andere, wie der alte Mann in der Ecke, sitzen ganz allein da und starren ins Leere. Ich bemerke seine Finger. Sie sind arthritisch verkrümmt und drehen unablässig den goldenen Ehering an seinem Finger hin und her, hin und her, hin und her.
Ich wende den Blick ab. Allmählich wird mir klar, welches Glück ich habe, dass ich nicht allein hier bin, sondern dass Rosemary bei mir ist. Dass wir einander haben. Ich sehe auf die Uhr an der Wand. Es wird eine lange Nacht werden.
Ich schiebe ein paar 10-Pence-Münzen in den Schlitz. Es poltert, und ein Kaffeebecher fällt aus der Öffnung, gefolgt von
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