Der Wunschzettelzauber
über die Grenze. Genauso, wie wenn wir nach Frankreich fahren. Und dazu brauchen wir spezielle Pässe. Ich nehme mal an, du hast deinen eingesteckt.«
Nicolas sah besorgt drein. »Nein.«
»Nein? Wirklich nicht? Na ja, nicht so schlimm. Ich habe einen für dich gemacht. Und für mich auch einen. Hier.« Chloe schlug die Klappe ihrer Umhängetasche zurück und zog die beiden Dokumente hervor, die sie am Vorabend gebastelt hatte.
Mit groÃen Augen untersuchte Nicolas seinen neuen Pass. Es war ein dickes Heftchen, aus einer chinesischen Zeitung gebastelt, mit einem Panda-Bild auf der Vorderseite und einem Bild der Chinesischen Mauer auf der Rückseite â Chloe hatte alles aus dem Internet ausgedruckt. Das i-Tüpfelchen war ein Siegel aus hellrotem Wachs, das sie aus der Bastelkiste hatte, die schon für vielerlei Dinge zum Einsatz gekommen war â beispielsweise für echt aussehende Piraten-Schatzsuche-Karten oder vertrauliche Nachrichten von Richard Löwenherz an Sir Nicolas, seinen tapfersten Ritter im ganzen Reich. An Nicolasâ strahlenden Augen konnte sie seine Begeisterung erkennen.
»Ich werde sie sicher verwahren«, erklärte Chloe und legte beide Dokumente achtsam in ihre Tasche. »Und wenn wir von den chinesischen Grenzbeamten aufgehalten werden, dann überlass lieber mir das Reden.«
»Okay, Mummy.«
Nach Chloes Gespräch mit Guillaume am Abend zuvor war ihr der Gedanke gekommen, dass sie sich für den Samstag lieber einen Plan B ausdenken sollte. Die Route, die sie für Guillaume geplant hatte, kam unter diesen Umständen nicht in Frage. Nicolas kannte das alles schon, und auÃerdem wollte sie sich diesen Tagesplan für Guillaume aufsparen, wenn er nach London kam.
Sie blätterte rasch die Lokalzeitungen durch und hatte bei der Ankündigung des StraÃenfestes zum Neujahr in Chinatown eine zündende Idee. Jetzt musste sie nur noch eine kleine Gruppe zusammenstellen. Sie schrieb ein paar SMS en an Sally, Megan, Kaja und Giles und lud sie mit ihren Kindern zu einem gemeinsamen Besuch in Chinatown ein. Je mehr, desto lustiger. Die Antworten kamen innerhalb einer Stunde zurück und waren allesamt enttäuschend. Sally & Co. waren zu Besuch bei Philips Eltern in Oxfordshire; Kaja wollte mit Triinu Kleider kaufen gehen; Megan hatte ein Treffen mit einer alten Freundin ausgemacht; Giles und Susanna hatten ein Wochenende in einem Luxus-Wellnesshotel komplett mit Rund-um-die-Uhr-Kinderbetreuung gebucht. Na, egal, dann würde sie mit Nicolas eben alleine gehen. Chloe war so fest entschlossen, dass sie glatt vergaÃ, den Wetterdienst abzufragen.
Als sie nun mit dem Fahrrad starteten, begann es ein wenig zu tröpfeln, aber sie machte sich deswegen keine Sorgen. Der Himmel würde sicher bald aufklaren. Auf dem ganzen Weg zum Trafalgar Square regnete es immer wieder sporadisch. Dort lieà Chloe angesichts der dichten Menschenmenge ihr Fahrrad stehen, und sie setzten ihren Weg zu Fuà fort. Der Regen hatte sich inzwischen zu einem ständigen Nieseln entwickelt. Nicolas trug seinen dunkelblauen Dufflecoat â sehr süà und auch warm, aber nicht gerade wasserdicht. Sie trug ihren Burberry, der zwar so tat, als sei er gegen Regen gedacht, in Wirklichkeit dazu aber viel zu vornehm war. Ihr kam der Gedanke, dass sie lieber einen Regenmantel oder einen Schirm hätte einpacken sollen. Aber sie hatte mit solcher Begeisterung die Pässe gebastelt, dass praktische Dinge nebensächlich waren. Nun ja, solange Nicolas seine Kapuze trug, war er ja geschützt. Der Regen würde von ihm abprallen.
Sie vernahmen von überallher aufgeregtes Trommeln. Auf dem Trafalgar Square herrschte ein solches Gedränge, dass Nicolas nichts von den Männern sehen konnte, die auf der speziell errichteten Bühne in Kreisen herumrannten und dabei einen wunderschönen Drachen auf Stöcken schwenkten. Also gingen sie weiter in Richtung Leicester Square und Chinatown. Der Regen prasselte. Ãberall hingen Girlanden mit rosafarbenen, grünen und roten Papierlaternen, eine Explosion von Farben an diesem trüben Tag. Auch hier herrschte lautstarkes Getrommel, und Chloe und Nicolas schoben sich mit der Menschenmenge voran und versuchten, näher an die Hauptattraktion heranzukommen â den tanzenden Löwen.
Ein riesiges, buntes und reich mit Pailletten besetztes Tier tanzte schwankend die StraÃe entlang,
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