Der Wunschzettelzauber
Interesse an der Odyssee hatte. Dann hatte sie darüber nachgedacht, wie weit diese Geschichte auch für ihre eigene Situation Gültigkeit besaÃ.
Auch sie hatte sich vor fünf Jahren, nachdem sie Antoine verloren hatte, danach gesehnt, nach Hause zurückzukehren, und so hatte sie Paris verlassen und war nach London zurückgegangen, wo sie schlieÃlich wieder auf die Beine gekommen war. Mit dem Erlös aus dem Verkauf der Pariser Wohnung und etwas von dem Geld, das Antoine ihr hinterlassen hatte, konnte sie ein Haus in der Nähe ihrer Eltern kaufen, ein nettes, kleines Haus, in dem Nicolas ein sonniges Zimmer bekam, mit einem Garten, in dem er spielen konnte.
AuÃerdem war Chloes Kontakt zu ihrem jüngeren Bruder James wieder enger geworden. Er war ein egoistischer junger Luftikus â tatsächlich erinnerte er sie an ihre eigene unbekümmerte, optimistische Art, bevor die Welt um sie herum zusammengestürzt war â, doch erwies er sich als guter, zuverlässiger Patenonkel für Nicolas.
Ja, dachte sie, während sie zwei perfekt gelungene Tassen Espresso über den Ladentisch schob und den Preis mit einem Klingeln in die Ladenkasse eintippte, ja, sie war nach Hause gekommen. Und trotzdem sehnte sie sich noch immer nach jenem anderen Ort. Jeden Tag aufs Neue empfand sie ein schmerzliches Heimweh nach Frankreich, das durch ihre äuÃerlich französische Lebensweise nur mühsam in Schach gehalten wurde.
Und sie wusste auch, warum sie so sehr an Heimweh litt, natürlich wusste sie es. Der Grund dafür war, dass sie nicht zu Antoine nach Hause gehen konnte. Er war nicht mehr da. Er war nirgendwo. Und wo war dann ihr Zuhause?
Chloe stieà einen ungeduldigen Seufzer aus. Es war sinnlos, sich mit diesen Ãberlegungen immer wieder im Kreise zu drehen. Sie hatte sich hier ihr Bett gemacht, und wenn es auch nicht das Traumbett schlechthin war, so lag sie doch immerhin ziemlich bequem darin.
Sie hörte, wie die Eingangstür des Bon Vivant sich klingelnd öffnete. Megan und Sally kamen mit ihren Babys herein, gerade rechtzeitig für Chloes Vormittagspause. Kaja folgte ihnen auf dem FuÃ, und sie sah so jung und blond und fantastisch aus, dass es jedem männlichen Gast bei ihrem Anblick schier den Atem verschlug. Sie trug eine groÃe Umhängetasche, aus der eine kleine Polizeiuniform herauslugte â Nicolasâ Kostüm für das Krippenspiel im Kindergarten. Die gutmütige Kaja hatte einmal eine Bemerkung fallen lassen, dass sie ein wenig nähen könne. Tatsächlich war sie mit Nadel und Faden ziemlich geschickt und besaà obendrein ein sehr gutes Auge für Farben, so dass die Erzieherin ihr auf der Stelle die Kostümproduktion übertragen hatte. Im vergangenen Jahr hatte sie tagelang bis in die Nacht hinein gearbeitet, um dreiÃig kleine Karotten-Kostüme anzufertigen.
Vielleicht, dachte Chloe, während sie ihre Schürze abnahm und dann um den Ladentisch herumging, um sich zu ihren Freundinnen zu gesellen, vielleicht gab es gar keine ideale Lösung. Das Leben war voller Kompromisse, oder nicht? Und das Einzige, was wirklich zählte, war Nicolas. Er war bei ihr, er war gesund, und er war glücklich und zufrieden. Was wollte sie denn mehr? Genug damit. Chloe umarmte ihre Freundinnen und lieà sich nieder, um Megans süÃes drei Monate altes Baby zur BegrüÃung an sich zu drücken, und dann bei einem Kaffee ein kleines Schwätzchen zu halten.
4
Die Prinzessin aus dem Morgenland
Ja, das Leben war jetzt, fünf Jahre nach der Katastrophe in Paris, wieder in Ordnung, aber es hatte Chloe den gröÃten Teil dieser fünf Jahre gekostet, um ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Und noch immer waren die Erinnerungen an ihre Rückkehr nach London und die darauffolgenden grausam düsteren, einsamen Zeiten in ihr lebendig.
Nicolas war schon zehn Monate alt gewesen, als sie endlich den Mut aufgebracht hatte, die nächstgelegene Spielgruppe aufzusuchen. Ihre Mutter, ihr Hausarzt und auch ihre psychologische Betreuerin hatten ihr damit in den Ohren gelegen â wie gut es ihr tun würde, einmal wieder aus dem Haus zu kommen, neue Leute kennenzulernen, wieder Anschluss zu finden.
Damals war Chloe sehr, sehr ärgerlich und wütend gewesen. Ihr Hausarzt schien immer nur ein krampfhaftes Lächeln für sie übrig zu haben, und ihre Mutter behandelte sie mit steter, kaum
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