Der Zauber deiner Lippen
und grauen Bilder werden deutlicher werden.“
„Aber das will ich doch gar nicht! Ich will nicht, dass sie wiederkommen, sie machen mich verrückt! Ich habe das Gefühl, mir explodiert gleich der Kopf!“
„Beruhige dich, und sag mir, was dir eingefallen ist.“
„War … war Mel gelähmt?“
Er blickte sie nur an, und sein Schweigen sagte mehr als tausend Worte.
Erschüttert schluckte sie. „Und bin ich … schwanger?“
Diesmal nickte er kaum merklich. Also wusste er es, schien darüber aber nicht glücklich zu sein. Warum nicht?
Vielleicht weil sie seinetwegen Mel hatte verlassen wollen. Doch dann war der Autounfall passiert, Mel war gelähmt gewesen, und gleichzeitig hatte sie festgestellt, dass sie schwanger war … und damit waren ihre Pläne wie Seifenblasen zerplatzt. Hatte sie deshalb manchmal das Gefühl, dass Rodrigo sie ablehnte, dass er nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte? Weil er sich von ihr an der Nase herumgeführt fühlte, da ihre Zukunftspläne sich plötzlich in Luft aufgelöst hatten, als sie ihm gesagt hatte, dass sie bei ihrem kranken Mann bleiben musste, von dem sie außerdem ein Kind erwartete?
Genau würde sie das erst wissen, wenn Rodrigo ihr die Wahrheit sagte. Aber es würde nicht einfach sein, ihn dazu zu bringen. Der Mann war verschlossen wie eine Auster und gab freiwillig nichts preis. Sie seufzte leise. „Okay, ich bin also schwanger. Aber doch noch ganz am Anfang, oder?“
„Ja. Du bist erst am Ende der dritten Woche.“
Verblüfft sah sie ihn an. „Woher weißt du das so genau? Selbst wenn du vor der Operation auch einen Schwangerschaftstest hast machen lassen, kannst du doch nicht …“ Doch dann wurde ihr plötzlich alles klar. „Es sei denn, es handelt sich um eine In-vitro-Befruchtung … Ja, jetzt erinnere ich mich …“
„Stimmt. Es ist eine künstliche Befruchtung vorgenommen worden. Vor zwanzig Tagen.“
Wieso wusste er so genau Bescheid? Und wie war es überhaupt zu dieser In-vitro-Geschichte gekommen? Ganz offensichtlich war sie nicht zufällig schwanger geworden. Nein, das Kind war geplant gewesen. Sie und Mel hatten ein gemeinsames Kind gewollt. Dann musste sie ihn doch auch noch geliebt haben, denn sonst hätte sie diese Prozedur nie auf sich genommen.
Also war ihre Ehe auch noch intakt gewesen, und sie hatten Flitterwochen geplant, wie Rodrigo gesagt hatte. Wahrscheinlich doch, um ihre Schwangerschaft zu feiern. Aber warum dann dieses Gefühl der Erleichterung, als sie von Mels Tod erfahren hatte? Und das Entsetzen darüber, dass sie schwanger war? Was war nur mit ihr los?
Darüber konnte sie nur Rodrigo aufklären, der offenbar genau Bescheid wusste. Aber er war mehr als zurückhaltend, wenn es darum ging, sie über ihre Vergangenheit zu informieren. Wahrscheinlich gab es aus ärztlicher Sicht einen Grund dafür. Möglicherweise war es für den Patienten schwieriger, sein Gedächtnis wiederzuerlangen, wenn er zu früh mit Einzelheiten aus seiner Vergangenheit konfrontiert wurde. Oder die Erinnerungen wurden von dem, der ihnen auf die Sprünge half, beeinflusst, zumindest in eine bestimmte Richtung gelenkt.
Aber das war Cybele vollkommen gleichgültig. Schlimmer konnte es kaum kommen. Denn was sie sich aus den Bruchstücken zusammenreimte, ergab überhaupt keinen Sinn und wirkte auf sie verwirrend und bedrohlich. Sie brauchte Rodrigos Hilfe, damit sie irgendetwas hatte, woran sie sich festhalten konnte und das ihr Orientierung gab.
Doch plötzlich durchfuhr sie ein Gedanke, der sie vor Schreck erstarren ließ. Woher wusste er eigentlich so gut über sie Bescheid? Viel zu lange hatte sie sich von seiner Fürsorge einlullen lassen und Trost und Halt darin gefunden, dass er Licht in das Dunkel ihrer Erinnerung bringen konnte. „Woher weißt du das eigentlich alles?“, platzte sie heraus. „Woher kennst du mich? Und Mel?“
Kaum hatte sie diese Fragen ausgesprochen, da konnte sie sie sich auch schon selbst beantworten. Es war dieser ganz bestimmte Blick, mit dem er sie ansah, wissend, weich, beinahe zärtlich. An diesen Blick erinnerte sie sich ganz genau. So hatte er sie auch vorher schon angesehen, in ihrem früheren Leben, an das sie sich nur bruchstückhaft erinnerte. Gleichzeitig wusste sie mit absoluter Klarheit, dass er sie damals verachtet hatte. Und zwar nicht nur, weil sie ihm Hoffnungen gemacht hatte, Mel aber nicht verlassen wollte. Es war viel schlimmer.
Er war Mels bester Freund gewesen. Und trotzdem hatte sie sich an ihn
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