Der Zauber deiner Lippen
Obgleich sie keine Ahnung hatte, wer er war.
Aber irgendetwas tief in ihr sagte ihr, dass sie in Sicherheit war, dass alles gut werden würde. Weil er da war.
Wenn sie sich doch nur irgendwie bewegen oder wenigstens sprechen könnte! Vielleicht war sie gar nicht wach. Vielleicht träumte sie und hatte deshalb keine Gewalt über ihren Körper. Das würde auch diese himmlische Erscheinung erklären. Ein Mann wie er konnte nicht von dieser Welt sein. Andererseits wusste sie genau, dass er vor ihr stand. So einen Mann konnte man sich nicht einfach so zusammenfantasieren. Außerdem gab es keinen Zweifel: Der Mann war wichtig für sie, lebenswichtig.
„Cybele?“
Diese Stimme, so weich und dunkel … wie gut passte sie zu dem Gesicht.
„Können Sie mich hören?“
Und ob! Sie konnte ihn nicht nur hören, sie konnte ihn auch fühlen. Jeder Nerv reagierte auf diese Stimme. Ihr war, als erwache sie durch ihn wieder zum Leben.
„Cybele, wenn Sie wach sind und mich hören können, dann antworten Sie, bitte. Por favor !“
Por favor? Spanisch? Das also war dieser weiche Akzent, der das Englisch so sinnlich klingen ließ. Warum konnte sie ihm nur nicht antworten? Sie wollte, dass er weitersprach, wollte diese verführerische Stimme hören. Jetzt beugte er sich vor, sein Gesicht kam näher, und sie konnte ihm direkt in die grüngoldenen Augen schauen. Wie gern hätte sie in sein dichtes schwarzes Haar gegriffen, seinen Kopf zu sich heruntergezogen und ihm die Lippen auf den Mund gepresst. Doch sie hatte immer noch keine Gewalt über ihren Körper. Bewegungslos lag sie da, und dennoch sehnte sie sich so sehr nach diesem Mann, der sie forschend und zugleich besorgt ansah. Nur zu gern hätte sie sich seiner Kraft überlassen, seiner Zärtlichkeit und seinem Schutz.
Sie begehrte diesen Mann. Immer schon hatte sie ihn begehrt. Aber wieso? Kannte sie ihn?
„Cybele, por dios , so sagen Sie doch etwas!“
Das klang beinahe verzweifelt, und wahrscheinlich war es dieser drängende Ton, der Cybele aus ihrer Erstarrung löste und sie befähigte, ihre Stimmbänder zu gebrauchen. „Ich … Ich höre Sie …“
Das wiederum konnte er kaum verstehen, und so beugte er sich vor, bis er mit dem Ohr fast ihre Lippen berührte. Offenbar war er nicht sicher, ob sie wirklich etwas gesagt oder ob er es sich nur eingebildet hatte.
Sie holte tief Luft und versuchte es von Neuem. „Ich bin wach … Ich denke … Ich hoffe, dass Sie nicht nur … eine Fata Morgana sind …“
Mehr brachte sie nicht heraus. Ihre Kehle brannte wie Feuer, und als sie unwillkürlich husten musste, schossen ihr vor Schmerz die Tränen in die Augen.
„Cybele!“ Er war aufgesprungen, hatte sich auf die Bettkante gesetzt und nahm sie in die Arme. Erleichtert ließ Cybele sich an ihn sinken. Es war so gut, seine Wärme zu spüren. In seinen kräftigen Armen fühlte sie sich endlich geborgen. „Sagen Sie nichts mehr“, flüsterte er. „Man hatte Sie während der langen Operation intubiert, deshalb fühlt sich Ihr Hals wie Schmirgelpapier an.“
Sie spürte etwas Kühles an den Lippen. Ein Glas? Vorsichtig öffnete sie den Mund, und eine warme Flüssigkeit umspülte die trockene Zunge. Als Cybele sich nicht traute zu schlucken, nahm der Mann ihren Kopf etwas weiter nach hinten und strich ihr tröstend über die Wange. „Das ist nur ein Kräutertee. Er wird Ihrer strapazierten Kehle guttun.“
Tatsächlich? Misstrauisch sah sie ihn an. Aber offenbar wusste er, was er tat, denn er war auf diese Situation vorbereitet. Leise seufzend schloss sie die Augen, machte sich auf einen höllischen Schmerz gefasst – und schluckte. Doch zu ihrer Überraschung wirkte der Tee wie Balsam, und erleichtert atmete sie auf. Dann nahm sie einen zweiten Schluck, und während der Fremde ihr sanft über die Wange strich, spürte sie, wie ihre Lebensgeister zurückkehrten.
„Geht es Ihnen jetzt besser?“
Wie fürsorglich er war. Cybele schmiegte sich enger an ihn und hätte am liebsten ihr ganzes restliches Leben in seiner Umarmung verbracht. Sie wollte ihm antworten, ihm danken, aber vor Rührung war ihr der Hals wie zugeschnürt. Also richtete sie sich schnell in seinen Armen auf und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Überrascht drehte er den Kopf, um sie anzusehen. Dabei streiften seine Lippen kurz ihren Mund, und ihr stockte der Atem. Bis in die Zehenspitzen durchfuhr es sie heiß, und sie wusste, genau das hatte sie jetzt gebraucht. Diese intime Berührung. Etwas,
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