Der Zauber deiner Lippen
Mittel dagegen gibt? Das macht keinen Sinn für mich.“
„Ich habe lieber leichte Schmerzen und fühle mich wach und aufnahmebereit, als dass ich ruhiggestellt im Bett vor mich hindämmere. Aber keine Angst, ich bin nicht leichtsinnig. Ich weiß, wie ich mich nach einer schweren Operation und einem dreitägigen Koma verhalten muss.“
„Und wenn schon. Ich bleibe an deiner Seite, bis ich absolut sicher bin, dass du zu deinem alten Selbst zurückgefunden hast. Dass du wieder bereit bist, die Welt aus den Angeln zu heben.“
Damit nahm er ihr vollkommen den Wind aus den Segeln. Sie hatte immer gedacht, er hielte nicht viel von ihr. Aber nun schien es so, dass er glaubte, sie sei stark und selbstbewusst. Auch rücksichtslos? Verachtete er sie deshalb? Cybele konnte sich nicht vorstellen, etwas getan zu haben, das so wenig ihrem Charakter entsprach. Untreue verabscheute sie aus vollem Herzen, dafür gab es ihrer Meinung nach keine Entschuldigung.
Doch dann sagte Rodrigo etwas, das sie regelrecht umhaute. „Dabei denke ich nicht an die Frau, die du warst, als du mit Mel zusammengelebt hast, sondern an die, die du vorher gewesen bist.“
4. KAPITEL
Die Frau, die sie vorher gewesen war? Vor Mel? Was meinte Rodrigo damit? Doch darüber konnte Cybele jetzt nicht nachdenken, denn etwas ganz anderes ging ihr durch den Kopf. Wie war sie gewesen, als sie mit Mel zusammengelebt hatte? Hatte er aus ihr einen anderen Menschen gemacht?
Und wieder tauchte ein Erinnerungsfetzen auf, dann ein zweiter, ein dritter. Wie ihre Mutter, die ihre berufliche Karriere den Launen des Stiefvaters geopfert hatte, hatte Cybele nie werden wollen. Nein, sie würde nie heiraten, aber sowie sie im Beruf Fuß gefasst hätte, würde sie ein Kind haben, das sie allein aufziehen musste. Zwar hatte sie bisher noch keinen konkreten Zeitrahmen festgelegt, aber dennoch das sichere Gefühl, dass sie bis zu dem Unfall an einem bestimmten Plan festgehalten hatte.
Und nun musste sie feststellen, dass sie verheiratet gewesen war. Obendrein war sie schwanger und befand sich in ihrem zweiten praktischen Jahr als junge Ärztin. War sie blind vor Liebe gewesen? Hatte sie vielleicht deshalb ihre Pflichten im Krankenhaus vernachlässigt? Und hatte sie Mel das insgeheim zum Vorwurf gemacht und daher Gefühle für Rodrigo zugelassen? Auch wenn das im Grunde nicht zu entschuldigen war?
Merkwürdigerweise bedauerte Cybele nicht, schwanger zu sein. Im Gegenteil, die Tatsache, dass sie ein Kind unter dem Herzen trug, gab ihr Mut und schien ein Lichtblick in diesem ganzen Durcheinander zu sein. Sie freute sich auf das Kind. Und – leider – auch darauf, mit Rodrigo zusammen zu sein. Aber genau aus diesem Grund konnte sie sein Angebot nicht annehmen.
„Ich danke dir für dein freundliches Angebot, Rodrigo, aber …“
„Das ist es ganz und gar nicht“, unterbrach er sie brutal. „Die Sache ist längst entschieden.“
Na, wenn das kein Macho-Verhalten war! „So einfach geht das nicht! Ich lass mir von dir nichts vorschreiben! Außerdem habe ich wohl klargemacht, was ich von deinem Angebot halte. Ich kann es nicht akzeptieren.“
„Du kannst nicht, oder du willst nicht?“
„Ich will nicht.“
„Dann muss ich dir leider sagen, dass du wohl vollkommen vergessen hast, wie ich bin. Wenn ich eine Entscheidung gefällt habe, lasse ich mich nicht mehr davon abbringen.“
Fassungslos starrte sie ihn an. Glaubte er wirklich, es genügte, mit den Fingern zu schnippen, und schon geschah alles nach seinem Willen? Es gab nur eins: Sie musste weg, so weit weg wie nur irgend möglich. Obgleich Vernunft und Logik dagegensprachen. Und ihre Sehnsucht nach ihm …
„Tut mir leid. Daran kann ich mich nicht erinnern. Es bleibt bei Nein.“
Mit einem selbstgefälligen Lächeln sah er sie an. „Sag, was du willst. Ich bin dein Arzt, und was ich anordne, wird gemacht.“
Dein Arzt … Wie sich das anhörte. Sofort wurde in ihr wieder der Wunsch wach, dass er nicht nur ihr Arzt, sondern alles für sie sein könnte. Mit verzweifelter Entschlossenheit schüttelte sie den Kopf. „Ich unterzeichne alles, was du mir vorlegst. Ich übernehme die volle Verantwortung für mich.“
„Das ist meine Aufgabe. Vielleicht erinnerst du dich, dass der Arzt in einer solchen Situation gleich hinter dem lieben Gott kommt. Und gegen Gottes Willen kannst du nichts machen.“
„Ich glaube, du nimmst dich ein bisschen zu wichtig“, versuchte sie der Auseinandersetzung die Schärfe zu
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