Der Zauber deiner Lippen
Hof zu machen. Sowie du seinen Heiratsantrag angenommen hattest, rief er mich an und erzählte mir von seiner Verlobung, erwähnte aber nicht den Namen der Braut. Und als ich endlich in die USA zurückkehren konnte, um nach dir zu suchen, bestand Mel darauf, dass ich sofort seine Verlobte kennenlernen sollte. Du kannst dir mein Entsetzen vorstellen, als er dich mir triumphierend präsentierte.“
„Oh, nein …“
„Leider ja. Zuerst versuchte ich mir einzureden, dass er mich nicht absichtlich quälen wollte, dass das Ganze nur Zufall sei. Aber als er mir immer und immer wieder erzählte, dass es bei euch Liebe auf den ersten Blick gewesen sei, dass du unheimlich scharf auf ihn seist, da begriff ich allmählich, dass er sich über mich lustig machte. Dabei bestand er darauf, dass ich viel mit euch zusammen war, damit er sich an meiner Qual weiden konnte. Ich bin fast verrückt geworden.“
„Hast du deshalb so getan, als …“
„Als würde ich dich hassen? Ja. Damals hasste ich alles. Dich, Mel, mich selbst, das Leben, das mir ohne dich nichts wert zu sein schien.“
„Aber du hattest doch so viele andere Frauen.“
„Nein, ich hatte niemanden. Seit ich dich gesehen hatte, existierte keine andere Frau mehr für mich. Sicher, ich hatte eine ganze Menge kurzer Beziehungen, aber sie bedeuteten mir nichts. Jeden Tag sehnte ich mich mehr nach dir, und die Ablenkungen halfen nichts. Auch von Mel wollte ich nichts mehr wissen, doch nach seinem Autounfall flehten seine Eltern mich an zu kommen.“
„Und …“, sie schluchzte, „und er hat immer behauptet, ich sei an dem Unfall schuld.“
„Was? Du? Du hattest überhaupt nichts damit zu tun. Er war ein unmöglicher Autofahrer und hat die eigenen Fehler immer gern anderen in die Schuhe geschoben. Meist hatten seine Eltern Schuld oder ich. Aber dir Vorwürfe zu machen, das ist ja ungeheuerlich!“ Rodrigo war so wütend, dass er ein paar Sekunden lang schwieg, um sich zu fassen. „Sicher hat alles damit zu tun“, fuhr er schließlich fort, „dass Mel eine Spielernatur war. Er liebte das Risiko, ob beim Autofahren, im Sport oder bei Operationen. Außerdem spielte er tatsächlich in Kasinos und hatte immer riesige Schulden. Allerdings wusste ich das nicht. Immer wenn er mich um Geld bat, behauptete er, er müsse dir deine teuren Wünsche erfüllen. Aber inzwischen weiß ich, dass er nie etwas für dich gekauft hat.“
Das war es also, was sich hinter Mels irrationalem Verhalten verbarg und was Cybele nie verstanden hatte.
„Der Absturz mit der kleinen Maschine, der ihn das Leben gekostet und auch dich beinahe umgebracht hat, war übrigens nicht der erste, sondern der dritte. Aber bisher war ihm nie etwas passiert, und selbst nach dem Autounfall zog er daraus keine Konsequenzen.“ Rodrigo schwieg und fügte dann leise hinzu: „Vielleicht wollte er auch sterben.“
„Aber warum? Er war doch fest davon überzeugt, dass du ihm helfen würdest. Er meinte, du seist sehr optimistisch, dass er bald wieder laufen könne.“
„Das ist eine Lüge! Das habe ich nie gesagt. Im Gegenteil, ich sagte ihm sehr deutlich, dass ich nichts für ihn tun könne.“
„Dann muss er wirklich verzweifelt gewesen sein.“
„Verzweifelt?“ Rodrigo stieß ein böses Lachen aus. „Wenn du es so nennen willst. Ich bin sicher, dass er dich mit in den Tod nehmen wollte. Damit ich dich nicht bekommen kann.“
Sie zuckte zusammen, als habe er ihr einen Hieb versetzt.
„Mel hatte immer ein Problem, und das war ich. Vom ersten Tag an hatte er dieses verquere Verhältnis zu mir. Einerseits idealisierte er mich und wollte unbedingt so sein wie ich. Andererseits war er krankhaft eifersüchtig und bemühte sich, das genaue Gegenteil von mir zu sein. Er liebte und hasste mich zur selben Zeit.“
Oh, Gott, auf einmal wurde ihr alles klar, und diese Erkenntnis stürzte sie in tiefe Verzweiflung. Anfangs hatte sie Mel geradezu unsympathisch gefunden, dann aber, als er offenbar versuchte, so wie Rodrigo zu sein, hatte sie Zuneigung zu ihm gefasst. Letzten Endes hatte sie also immer Rodrigo geliebt. Kaum zu glauben, aber wahr. Sie konnte nur eins tun, auch wenn es ihr das Herz brach. Langsam löste sie sich aus seinen Armen und sah ihn ernst an.
„Ich möchte mich scheiden lassen.“
12. KAPITEL
Cybeles Worte trafen Rodrigo wie ein Schlag. Doch dann wurde er wütend – auf sich selbst. Wie hatte er nur so dumm und taktlos sein können, über einen toten Mann herzuziehen, der sich
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