Der Zauber der Casati
gekommen? Gewiss war es mein Fehler gewesen, ihn in die Verantwortung nehmen, ihn zwingen zu wollen, und dass ich an seiner Stelle träumte. Ich hatte zu viel von ihm erhofft, zu viel verlangt. Er war unglücklich. Er hasste mich. Inzwischen musste ich die Schnapsflaschen verstecken, damit er nicht allzu sehr durchdrehte; und als ich genug geweint, gefleht und geschrien hatte, dass ich ihn liebte, trotz der Angst, die mir den Magen umdrehte, bis es weh tat, als ich den Morgen abwartete, bis er endlich nüchtern war und mich aus unserem in Trümmern liegenden Liebesnest weggehen ließ, da begriff ich, dass ich nie seine Muse gewesen war, sondern eher seine Krankenpflegerin. Seine Freiheit hatte die meine komplett zunichtegemacht. Er glaubte nicht an meine Schriftstellerei, meinte, ich sei keine Autorin, sondern eine Bücherverkäuferin. Eine Musterschülerin, eine beschissene Kommerzkünstlerin, die den Mechanismen eines Systems diente. Er allein sei der Künstler, ich sei unwürdig, ihn zu inspirieren. Die ganze Zeit hätte ich nichts getan, als seine Phantasie zu kastrieren. Da flüchtete ich. Ich ging weg und schrieb weiter Bücher, überzeugt, dass sie höchstens mittelprächtig waren. Und im Grunde waren sie es auch.
Man kann nicht einfach so beschließen, ein Künstler zu sein.
N ach Lucias Tod konzentrierte der Witwer sich umso mehr auf seine Geschäfte. Die beiden Schwestern ließ er mit ihren Spielen, ihren Träumen und ihrem Kummer allein. War er wegen des Todes seiner Frau traurig, verzweifelt, vernichtet? Untröstlich hinter den steifen Krägen seiner Maßhemden? Sein Bruder riet ihm wohl, sich etwas Zeit zu gönnen, nicht unentwegt entweder im Büro oder in der Fabrik zu sein. Doch Alberto wollte immer weiter, immer höher hinaus. Zahlenreihen und revolutionäre Neuerungen bevölkerten seine Träume, und so überhörte er nachts das Schluchzen seiner jüngeren Tochter. Ihr fehlt die Geborgenheit so sehr. Luisa fühlt sich so allein. Wenn sie doch nur jemand in die Arme nähme! Auf der Suche nach Wärme entbrennt in ihr eine kalte Flamme, verborgen und blau.
Ihr Vater sollte bald seinen Fünfzigsten erreichen. Seine Frau war schon seit zwei Jahren tot, die Zeit war im klappernden Rhythmus der Webmaschinen dahingerast. Dann starb unvermittelt auch er. Zu Tode gearbeitet, so wurde gesagt, wohl ein Herzanfall. Dahingerafft, mitten im schönsten Juni. Die beiden Töchter wurden dem Onkel väterlicherseits, Edoardo Amman, und seiner Frau Fanny anvertraut. Sie erbten diverse Baumwollfabriken, Villen in Erba und Monza, Wohnungen in Mailand und allerlei Aktien und Beteiligungen. Vollwaisen waren Francesca und Luisa jetzt und unermesslich reich. Es wurde beschlossen, dass sie weiter in der Villa Amalia wohnen sollten.
Die Zeit schlich dahin, und Luisa sah sich von den Erwachsenen, die sie behüten wollten, in der Kindheit eingesperrt. Wie sie das verabscheut haben muss. Aus dieser tristen Jugendzeit wird sie später vor allem die Besuche von Livio und Pierluigi in Erinnerung behalten, den pickeligen, sexbesessenen Cousins, die nach Francescas Brüsten schielten und über Luisa spotteten, weil sie dünner war denn je, flach wie eine Flunder. Ohne die Kleider hätte man sie fast für einen Jungen halten können.
Die Mädchen durften nach Mailand fahren, um ins Museum zu gehen, Bücher zu kaufen und durch die Läden zu bummeln. Etwas Porzellan-Nippes, ein Paar Handschuhe, einen Hut oder einen Fächer, das waren alle Verrücktheiten, die sie sich leisteten. Sie, die so fern der Welt lebten, flanierten mit schwingenden Röcken, kamen ganz benommen von diesen Ausflügen zurück und träumten davon, zu den modischen Gibson Girls zu gehören mit locker-verwegen aufgesteckten Haaren samt einem dicken Knoten ganz oben. Ich habe mir die Bilder jenes Zeichners, Charles Dana Gibson, angesehen, mit denen er diesen Typus der zugleich eleganten und eigenständigen Frau prägte. Und dann geriet ich an ein Foto von Luisa mitten im schwierigen Alter – mit ebendieser Frisur. Etwas bemüht künstlerisch (oder aus Komplexen?) verbirgt sie einen Teil ihres Gesichtes hinter einem Topf Geranien.
In der Befürchtung, seine Nichten könnten sich langweilen, verordnete Onkel Edoardo ihnen Reit- und Tennisstunden. Die arme Luisa war mit dem Ball eher ungeschickt, dafür sehr tierlieb, doch die Pferde waren nervös und unberechenbar, außerdem zu groß. Ihre Schwester mokierte sich über sie, und es war ihr gelungen, die Cousins zu
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