Der Zauber der Casati
triumphierend eine Platte Ofengemüse herein. Die Tante bedient sich, dann der Onkel. Die Köchin fürchtet die Essenslaunen der Jüngeren, vor allem, wenn die alten Herrschaften da sind. Sie gelangt zu Luisa, die unmerklich zurückweicht und mit spitzen Lippen verkündet: «Ich habe keinen Hunger.» Luisa mag rohes Fleisch, rohen Fisch und rohes Gemüse. Die Köchin zittert, wozu ist sie nutze, wenn sie nichts in den Ofen stecken kann? Wenn das so weitergeht, kann sie ihren Hut nehmen. Vom anderen Ende des Tischs her hat Tante Fanny Luisas Schmollmund gesehen. Wie soll sie das Kind nur anpacken? Ihr Gatte und sie haben beschlossen, die Kleine möglichst wenig zu ärgern. Im Grunde haben sie ein gutes Herz. So unkompliziert und entspannt es mit Francesca ist, so kompliziert und mühsam ist es mit Luisa. Trotzdem, sie können sich nicht alles bieten lassen. Und was ist das wieder für eine Extravaganz mit dem Tintenfinger?
«Ginetta, geh dir die Hände waschen!»
Mit niedergeschlagenen Augen steht Luisa auf und geht an Francesca vorbei, die aufhört, ihr Gemüse zu mümmeln. Sie hat es geschafft. Sie ist der Mittelpunkt der schweigenden Aufmerksamkeit. Sie geht sich die Hände waschen, entzückt bei der Vorstellung, dass die schwarze Farbe noch lange in dem Häutchen um ihren kleinen Fingernagel festsitzen wird.
L uisa ist sechzehn. Bald wird sie ihr Debüt in der Gesellschaft geben.
Eines Morgens wacht sie früh auf, von einem eigenartigen Gefühl erfüllt. Haben wilde Träume ihre Nacht bevölkert? In ihrem langen weißen Nachthemd steht sie auf und geht barfuß ans Fenster. Es ist kalt. Das Zimmer liegt reglos da, die Zeit scheint stehengeblieben. Einen nach dem anderen sieht sie die Gegenstände an, die ihren Alltag bedeuten. Die altvertrauten, die sie seit ihrer Kindheit aufbewahrt, die neueren von ihren jüngsten Fischzügen in Mailand mit Francesca. Allzu einfach, allzu aufgeräumt ist dieses Zimmer. Der Porzellankrug mit den handgemalten Rosen und die passende Seifenschale auf der Marmorplatte der Mahagonikommode kommen ihr unendlich trist vor. Die Haarbürste mit Horngriff und den gravierten Silberspiegel hat sie von ihrer Mutter geerbt. Luisa ist ein wenig schlecht. Im Spiegel sieht sie sich als schmales, blasses Phantom, einen langen Zopf im Rücken. Sie denkt an den Haarknoten ihrer Mutter, dieser unterwürfigen, treuen, armen Toten. Mitten im Zimmer quillt der Handarbeitskorb auf einem Beistelltischchen über. Stickgarn, Näh- und Sicherheitsnadeln, das Bandmaß, ihre Handarbeit, ihre Langeweile. Luisa hat Besseres mit ihrem Leben vor, als Blumenkränze zu sticken. Sie seufzt. Woher eine andere Existenz nehmen? Ihr Blick bleibt am hellroten Griff der Schere hängen, der aus den Spitzen und gefalteten Stoffstücken hervorschaut. In der tiefen Stille des schlafenden Hauses quietschen Luisas Füße auf dem Parkett. Sie nimmt die Schere und sieht sich ein letztes Mal im Spiegel an. Leb wohl, kleines Mädchen!, denkt sie. Adieu, Mama und alle Frauen mit gebändigtem Haar! Mit einem beherzten Schnippschnapp schneidet sie den schweren kastanienbraunen Zopf an der Basis ab. Befreit fällt ihr Haar in einer weichen Welle wie ein Rahmen ums Gesicht.
Den Zopf lässt sie am Boden liegen und geht zurück ins Bett.
Z wischen September 2002 und Juni 2006 habe ich ungezählte Castings verbockt. Der Vorteil eines echten Scheiterns, also nachdem man sich ernsthaft um Erfolg bemüht hat, besteht darin, dass man sich nichts vorzuwerfen hat. Es wäre unehrlich zu behaupten, ich hätte eine große Schauspielerin werden können, ich hatte viele Gelegenheiten, mein Talent zu beweisen, doch nie habe ich jemanden überzeugen können. Gegenüber den Casting Directors beiderlei Geschlechts erlitt meine Verführungskraft eine schmähliche Niederlage nach der anderen, das Ergebnis war immer dasselbe: «Wir rufen Sie dann an.» Wer ehrlich war, sagte immerhin: «Wir rufen Sie an, wenn Sie weiterkommen.» Egal, sie riefen ohnehin nie an. Einmal eine Joghurt-Werbung, wo ich den Löffel nicht in den Mund nehmen wollte, den schon zwanzig Leute vor mir abgeleckt hatten, dann ein Spot für eine Enthaarungscreme, anderntags gefolgt von einem für Geschirrspülmaschinen-Tabs. Hier gelang es mir sogar, den Text beider Spots zu vermischen; ich stammelte in die Kamera: «Mit essenziellen Fetten und Oligoelementen wirksam auch bei hartnäckigen Verschmutzungen.» Und ich begegnete stets denselben brünetten Zwanzigjährigen, wir hatten
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