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Der Zauber der Casati

Der Zauber der Casati

Titel: Der Zauber der Casati Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camille de Peretti
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alle dasselbe Profil.
    Eines Tages hatte ich immerhin ein Casting für eine vielgesehene TV-Serie ergattert. Meine Figur hatte abgetrieben und musste das jetzt ihrem Freund beichten. Ich sollte weinen, stattdessen bekam ich den größten Lachanfall meines Lebens. Manchmal sah ich meine Konkurrentinnen ein paar Monate später im Fernsehen und dachte trotz allen Neides, dass ich noch einmal Glück gehabt hatte. «Stellen Sie sich vor.» – «Bonjour, ich heiße Camille de Peretti, ich bin zwanzig Jahre alt.» – «Drehen Sie sich nach rechts.» – «Drehen Sie sich nach links.» – «Zeigen Sie bitte Ihre Hände.» Ich habe nie kapiert, wozu ich die Hände zeigen sollte. Einmal, bei einem Fotocasting für eine Supermarktkette, wollten sie meine Schultern sehen: «Noch etwas tiefer, Mademoiselle.» Ich ging, bevor die Einblicke allzu tief reichten. Ein paar Filmcastings gab es auch, meist für Filme, die nie über das Stadium der Vorproduktion hinauskamen. Ich erinnere mich an einen alten Regisseur, der in den Achtzigern mal einen bescheidenen Erfolg gehabt hatte und den es offenbar heftig fuchste, dass ich seinen Namen nicht kannte. Er rächte sich, indem er von Audrey Hepburn und Greta Garbo schwärmte: « Das waren Schauspielerinnen, das waren Frauen!» Mit hängendem Kopf, tiefbetrübt, weder Schauspielerin noch Frau zu sein, ging ich wieder arbeiten. Ein Casting nach dem anderen zu absolvieren hat noch niemandem die Miete finanziert.
    Ich klapperte allerlei Abendgesellschaften ab, bei denen fünfzig arbeitslose Schauspieler einen unabhängigen Produzenten umlagerten, und wurde unfehlbar jedes Mal von irgendeinem Dreißigjährigen mit Tolle überm Auge und V-Ausschnitt-Pulli direkt auf der Haut angebaggert, der «gerade was für einen Kurzfilm» schrieb. Das sind die Schlimmsten, die verkaufen ihre Musensuche und ihr «Ich brauche eine Frau wie dich, die mich inspiriert» allen, die ihnen über den Weg laufen. Ich war aber nachsichtig, auch denen hatte man oft genug versprochen, sie anzurufen, man musste sie verstehen.
    Dann war da noch ein weiterer Typ, ein Regisseur, der sich für ein Genie hielt. Er hatte ein sehr langes Skript geschrieben, das das Problem von Doubles aufwarf, eine Mischung aus Marguerite Duras und Fight Club mit abwechselnd einer Totale auf einen Vorhang im Wind und Szenen von extremer Brutalität. Er sprach über bekannte Schauspieler, indem er deren Vornamen verwendete, er meinte, Gérard sei auch nicht mehr das, was er mal war, Catherine habe viel verloren, und Isabelle wolle er um nichts auf der Welt in seinem Film haben. Er liebte es, sich selbst zuzuhören. Er ließ seine Kamera laufen, wir waren drei junge Frauen, zum Vorsprechen gekommen. Er wollte eine improvisierte Szene aufnehmen, gab allerlei Anweisungen und fand schließlich, wir sollten masturbieren. In aller Anständigkeit freilich: «Ihre Hosen lassen Sie an, Mesdemoiselles.» Wieder einmal ging ich. Die beiden anderen blieben. Die Aufnahmen sind wahrscheinlich noch heute irgendwo im Netz zu sehen. Man muss schon das Herz am richtigen Fleck haben. Schauspielerin wird man nicht einfach so.
    Und schließlich kam Henry, und trotz meiner Klarsicht und meinem scharf entwickelten kritischen Sinn ging ich ihm in die Falle. Eine Falle, die er extra für mich eingerichtet hatte.

V on 1896 bis 1900 erlebte Italien vier Krisenjahre voller blutig niedergeschlagener Aufstände. Die Abgeordneten zertrümmerten die Wahlurnen im Parlament, Anarchisten verübten Attentate, die politischen Führer forderten einander zum Duell. Bei den Mailänder Protesten gegen die Brotpreissteigerungen im Jahre 1898 wurde mit Kanonen in die Menge geschossen.
    Während meiner Recherche in der Bibliothek wollte das alles so gar nicht zu meinen beiden Erbinnen passen, wie sie unter den Arkaden flanieren, auf der Suche nach einem mit Federn geschmückten Hut für die nächste Garden Party . Wie sah die Reaktion von Luisa und ihrer Schwester aus, als sie vom Mord an König Umberto I. erfuhren, der zu Lebzeiten ihrer Eltern so oft bei ihnen zu Hause eingeladen war, auf dessen Schoß sie sitzen durften? Die Wahrheit ist, dass gesellschaftliche Konflikte, politische Dramen und die Bedürfnisse der Massen genauso wenig an Luisas Geist hängen blieben wie die Seide ihrer Kleider an ihren Strümpfen. Ihr Leben lang scheint sie von zeitgeschichtlichen und politischen Ereignissen unberührt geblieben zu sein, an denen es ja um die Jahrhundertwende durchaus nicht

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