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Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman

Titel: Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Cossé
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wiederhole mich, aber ich habe keine anderen Worte dafür. Ich hatte dieses große Ladenlokal in der Rue Dupuytren und ließ es zu einer Galerie ausbauen. Den Rest kennen Sie. Der Tod hat sich dem Vorhaben in den Weg gestellt.«
    Sie sah Ivan an.
    »Eine Buchhandlung ist besser. Sie passt besser zur Persönlichkeit und zum Leben des Mäzens.«
    Sie zeigte zum Himmel.

21
    P aul Néant hatte als Treffpunkt ein Café in der Nähe des Bahnhofs von Chambéry vorgeschlagen, La Chartreuse . Francesca und Van fuhren mit dem Zug dorthin, an einem Tag, an dem es vom Vormittag an ununterbrochen regnete. Unterwegs las Francesca in einem Büchlein, dessen grauer Einband aus besonders kostbarem Material zu bestehen schien. Van, der ihr gegenübersaß, bemerkte, dass auf dem kleinen Buch zwar ein Titel stand, L’Éclair , der Blitz, aber kein Autorenname.
    »Was ist das?«, erkundigte er sich, als Francesca gerade ihre Lektüre unterbrochen hatte und zerstreut die burgundische Landschaft betrachtete, die draußen vorüberglitt.
    »Kennen Sie es nicht?«
    Sie hielt Van das schmale Bändchen hin.
    »Da lesen Sie – die schönste französische Liebesgeschichte, die ich kenne.«
    »Nicht bevor Sie es zu Ende gelesen haben«, sagte Ivan.
    »Aber ich kenne das Buch ja schon auswendig! Ich lese es mehrmals im Jahr.«
    »Von wem ist es?«
    Francesca zeigte ihm auf der Titelseite, an der Stelle des Autorennamens, zwei Buchstaben.
    »P.N.!« Van war verblüfft. »Sie sagten doch, es sei eine Liebesgeschichte! Ich dachte, ich hätte alle seine Bücher gelesen. Darin geht es um das Begehren, um die vielen Formen des Begehrens, von der strahlendsten bis zur düstersten, aber, soweit ich weiß, nie um Liebe.«
    »In diesem Buch geht es nur um die Liebe«, sagte Francesca. »Eine ort- und heimatlose Liebe, ohne Namen, Zukunft oder Zeugen. Es ist die Geschichte eines Mannes, der nach einer Frau verrückt ist – ein reifer Mann, eine sehr junge Frau, die eines Tages verschwindet. Die Geschichte des langen Kampfs, den dieser Mann, der es nicht versteht, nichts weiß und jahrelang wartet, mit seiner Passion ausficht. Das Ende werde ich Ihnen nicht erzählen, lesen Sie es lieber selbst. Es ist das erste Buch von Paul Néant. Selbst wenn er nur dieses Büchlein geschrieben hätte, hätte er nicht umsonst gelebt.«
    »Man lebt nie umsonst, Francesca«, sagte Ivan.
    Francesca wandte den Kopf ab und betrachtete die Fensterscheibe, auf der die Regentropfen, vom Fahrtwind getrieben, waagrechte Streifen zogen.
    Der Zug kam mit Verspätung in Chambéry an. Néant stand nicht auf, als er Van und Francesca kommen sah. Sein Zustand war nicht normal. Van tat, als bemerke er nichts, er sprach mit ihm, als sei alles in Ordnung. Ohne lange zu fackeln, entlockte er ihm die Liste – ein Schulheft –, seinen Decknamen – Brother Brandy – und eine neue Verabredung. »In einer Woche«, brachte Néant mühsam hervor. »Selber Ort. Ich bin jeden Mittwoch da.«
    Francesca schwieg die ganze Zeit. Néant hatte ihr keinen Blick gegönnt. »Ganze Nacht kein Auge zugetan«, lallte er abschließend, wie um sich zu entschuldigen, als Van auf die Uhr sah und Francesca fragte, ob sie vor der Rückfahrt noch etwas trinken wolle.
    »Meinen Sie etwa, ich würde nachts schlafen«, murmelte Francesca. »Seit sechs Jahren habe ich nicht mehr als ein oder zwei Stunden durchgeschlafen.«
    Doch sie sagte es nicht zu Néant, sie sah auf ihre Hände unter dem Tisch. Sie sagte es auch nicht zu Ivan, der sie im selben Augenblick ansah und auf ihre Antwort wartete, aber angesichts der Erschütterung auf ihren Zügen begriff, dass sie ihn nicht gehört hatte.
    Das zweite Treffen verlief anders. Ivan fuhr allein hin. Paul war nüchtern. Und nüchtern brachte er auch seine Entschuldigungen vor. Van und er verständigten sich über die streng zu wahrende Diskretion, die beste Kommunikationsweise, die aus Vorsichtsgründen gebotene Vernichtung aller schriftlichen Spuren ihres Tuns. »Abgesehen von Ihrer Liste«, sagte Van. »Denn wir werden Sie künftig jedes Jahr um eine Ergänzung bitten. Seien Sie vorsichtig. Verstecken Sie sie. Schreiben Sie nichts darauf, was auf eine Verbindung mit dem Guten Roman hindeutet.«
    Die Fahrt Paris – Saint-Brieuc und zurück war im Vergleich zum Chambéry-Abenteuer ein Vergnügungsausflug. Das Wetter war schön, leichte Brise, wie türkisfarben, frisch gewaschener Himmel. Le Gall hatte sich mit Francesca und Van in einem Fischrestaurant am Hafen

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