Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
spreche von einem inneren Bruch.«
»Und?«, fragte Heffner. »Wissen Sie inzwischen, mit wem Sie sich in Montsoreau getroffen haben?«
Francesca warf Van einen fragenden Blick zu.
»Dazu kommen wir noch«, sagte Van. »Wir sind in unserem Bericht ja erst im April 2004.«
22
I van«, sagte Francesca, kurz nachdem sie an Tours vorbeigefahren waren, »wir hatten uns doch darauf geeinigt, die acht Listen zu einer einzigen zu verschmelzen, ohne die einzelnen zu lesen. Wir müssen uns noch überlegen, wer sie tippen soll.«
Sie hatte bereits einen Plan.
»Ich weiß nicht, ob er etwas taugt. Ich möchte Ihre Meinung dazu hören.«
Sie wollte die acht Originale zu ihrem Notar bringen und ihn bitten, sie zu einer einzigen getippten Liste zusammenzufügen, in alphabetischer Reihenfolge der Autorennamen, wobei kein Titel übersehen werden und vor allem keiner von denen, die möglicherweise mehrfach auftauchten, aussortiert werden dürfe.
»Was halten Sie davon? Mir scheint, es ist völlig gefahrlos. Jedes Mal, wenn uns eine Liste übergeben wurde, haben wir uns vom betreffenden Jurymitglied bestätigen lassen, dass sein oder ihr Name nicht darauf steht. Die Gesamtliste kann dann im Computer gespeichert und auch weitergereicht werden, es ist ja nur die Liste der Bücher, die in unserer Buchhandlung verkauft werden.«
»Ich sehe da allerdings eine kleine Schwachstelle«, sagte Van. »Es muss verhindert werden, dass die nicht getippten, sondern handgeschriebenen Listen ohne unser Wissen fotokopiert werden, denn dann könnte womöglich irgendwer irgendwann den betreffenden Verfasser an der Handschrift erkennen.«
»Das stimmt«, gab Francesca zu.
»Aber das können wir verhindern«, fuhr Van fort. »Bevor wir die acht Listen zu Ihrem Notar bringen, könnten wir sämtliche Listen einzeln in acht verschiedenen Schreibbüros abtippen lassen, dann macht es keinen Unterschied mehr, ob sie getippt oder handgeschrieben waren.«
Eines Morgens – es war schon Anfang Mai – machte Van die Runde durch die betreffenden Schreibbüros am Boulevard Saint-Michel und an der Rue Saint-Jacques. Er gab die Listen einzeln ab, sagte jedes Mal, es sei eilig, und holte sie noch vor dem Mittag alle wieder ab.
Am Nachmittag desselben Tages übergab Francesca die acht Listen ihrem Notar. »Ich hätte die Gesamtliste auch selbst tippen können«, hatte sie Van erklärt, »aber dann hätte ich die Komiteemitglieder womöglich an ihrer Auswahl erkannt.«
Ihrem Notar gab sie genaue Anweisungen: Wenn ein Titel in allen acht Listen genannt werde, müsse er achtmal getippt werden, also in der Gesamtliste in acht aufeinanderfolgenden Zeilen stehen. Genauso sei zu verfahren, wenn ein Titel zweimal genannt werde, oder dreimal oder viermal …
Auf dem Rückweg ging sie bei ihrer Bank vorbei, um die acht Originallisten, ohne sie angeschaut zu haben, in den Tresor einzuschließen. Am folgenden Tag war die Gesamtliste fertig. Francesca brachte sie, wieder ohne einen Blick darauf zu werfen, zu Van in die Buchhandlung.
Die Liste war hundertsiebzehn Seiten lang. Zweihundertsechsundneunzig Titel waren achtmal genannt worden, dreihundertneunundfünfzig siebenmal, vierhundert sechsmal, vierhunderteinundfünfzig fünfmal, dreihundertachtundsiebzig viermal, vierhundertzweiundfünfzig dreimal, vierhundertneunundsechzig zweimal, fünfhundertvier nur ein einziges Mal. Van hatte sich einen Stapel Schreibmaschinenpapier herangezogen und entwarf hastig Übersichten und Tabellen, sortierte nach Land, nach Autor, nach Titel, nach Textart. Er strich durch und fing von Neuem an. Wenn man die Mehrfachnennungen nur einmal zählte, kam man auf insgesamt dreitausenddreihundertneun Bücher. Mit einem Romananteil von siebenundachtzig Prozent der Gesamttitel, wobei der französische Anteil etwa ein Drittel ausmachte. Es gab erstaunliche Lücken. Nur ein einziger Victor Hugo, nur ein einziger Böll. Nichts von Vallès, Delteil, nichts von Evelyn Waugh oder Anna Maria Ortese. Zwei Bände von John Berger, aber nicht SauErde – dabei ist SauErde fantastisch, hat Van mir immer gesagt.
»Ist L’Intouchable von Bettencourt dabei?«, fragte Francesca besorgt.
» Leben und Schicksal von Grossman?« Van suchte auf der Liste.
»Hoffentlich der ganze McCarthy?«
»Wie viel von Nicolas Bouvier?«
» Bebop von Gailly?«
Plötzlich legte Van die Liste auf den niedrigen Tisch und schob die mit Zahlen bedeckten Bogen beiseite.
»Jetzt sind wir dran.«
»Sie meinen, wir sollten die
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