Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
ein begrenztes Risiko, denn ich werde Ihnen meine Identität trotz allem nicht verraten, und ein notwendiges Risiko, denn ich will Ihnen meine Liste erst geben, wenn ich weiß, mit wem ich es zu tun habe. Ich meine, was ich sage. Sie zu sehen, dürfte mir schon einiges verraten. Aber Wissen ist mehr als Sehen. Ich finde Ihren Plan wunderbar. Wie ich Ihnen schon sagte, habe ich mir genau das erträumt. Und ich bewundere Sie jetzt schon dafür, dass Sie diesen Traum realisieren wollen. Es ist ein herrliches Unternehmen, aber es darf keinen Schaden erleiden. Es ist gefährlich. Ist Ihr Herz rein genug? Denn das ist die Frage, genau dieselbe, die auch den Märchenhelden gestellt wird, bevor sie ihre Prüfungen bestehen müssen.«
Sie unterhielten sich eine Stunde lang über die üblichen Sicherheitsvorkehrungen, Telefon, Zeitplan, aber auch über das, was auf dem Spiel stand, über Risiken, Verrücktheiten und den Sinn, den man seinem Leben gibt. Niemand kam auf die Terrasse und störte sie.
»Schön, ich habe verstanden«, brach die junge Frau das Gespräch abrupt ab. »Ich verstehe.«
Sie schwieg. Etwas wie Angst huschte über ihr Gesicht. Alle drei standen sie in einer Ecke der Terrasse, dem Zusammenfluss der beiden Flüsse zugewandt. Ida Messmer straffte sich, sie sah Ivan und Francesca an.
»Ich verlange von Ihnen, ich bitte Sie herzlich, nicht herausfinden zu wollen, welche bürgerliche Identität die Frau hat, die unter dem Namen Ida Messmer schreibt. Sie darf das Risiko, identifiziert zu werden, nicht eingehen. Dann wäre sie zerstört, und Ida Messmer mit ihr. Diese Frau schreibt, ohne dass jemand davon wüsste, nur für einen einzigen Menschen, genauer gesagt, sie schreibt an diesen Menschen, in einer Welt, die nur ihnen beiden gehört und sehr gefährdet ist. Sollten andere diese Frequenz herausfinden und unser Gespräch stören, wäre alles beendet. Sollte man entdecken, dass die beiden eigentlich eine ist, aus Liebe zu jenem anderen, der beiden alles bedeutet, so würden die Frau, die hinter der gesichtslosen Maske Ida Messmers schreibt, und die Frau der Wirklichkeit, von der niemand weiß, dass sie schreibt, im selben Augenblick zugrunde gehen.«
»Versprochen«, sagte Ivan.
»Versprochen«, wiederholte Francesca.
Die junge Frau überreichte Francesca ihre Liste, eine mit einem Wollfaden gebundene Rolle.
»Dann Adieu«, sagte sie.
Sie wollte als Erste die Terrasse verlassen und bat Francesca und Van, noch fünf Minuten zu warten, bevor auch sie hinuntergingen. Sie stand schon oben an der Treppe, im Begriff hinunterzueilen, da wandte sie sich noch einmal um – von ihrem Haar umtanzt –, lächelte strahlend und rief: »Haben Sie verstanden, dass ich nicht Ida Messmer bin? Ich will damit sagen, ich bin nicht diejenige, die unter dem Namen Ida Messmer schreibt!«
Sie verschwand.
Van und Francesca sagten fünf Minuten lang kein Wort. Sie sahen vor sich hin, auf den Zusammenfluss, die Flüsse, die sich um die Inseln wälzten, die Baumwipfel, auf denen schon der erste grüne Frühlingsschimmer lag. Auch als sie das Schloss verließen, sagten sie nichts.
»Was meinen Sie?«, fragte Francesca, als sie wieder im Wagen saßen und Van sich anschickte, ihn anzulassen.
Van lehnte sich wieder in seinem Sitz zurück.
»Ich meine, wir haben unseren Meister gefunden, was das Abschirmen vor der Umwelt angeht«, sagte er.
»Nicht unbedingt«, sagte Francesca langsam. »Irgendetwas lässt mich vermuten, dass wir eben tatsächlich vor der Frau standen, die schreibt, was unter dem Namen Ida Messmer veröffentlicht wird.«
»Das wäre wirklich stark.«
»Ich habe den Eindruck, es ist mehr Schwäche als Stärke im Spiel, mehr Verrücktheit als Souveränität.«
»All das kann durchaus zusammengehören.«
»Ja, aber wie lange? Was mir Angst macht, ist das geringe Gewicht des Ganzen – ich meine es ernst –, diese allerhöchstens vierzig Kilo. Dass ein so zartes, sanftes Wesen sich einem, ja, man muss es schon Kult nennen, so sehr weiht, dass es sich seinetwegen geradezu innerlich einmauert, dass es diesen mit einer derartigen Gewalt feiert – Sie wissen ja, was sie schreibt –, das scheint mir auf die Dauer unhaltbar. Es fiele mir schwer, Ihnen zu erklären, warum. Es ist ein bisschen so, als tanze sie mit verbundenen Augen über ein zwischen zwei Wolkenkratzern gespanntes Seil. Ein Fehler mit der Balancierstange, ein falscher Schritt kann tödlich sein, bitte verstehen Sie es in psychischer Hinsicht, ich
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