Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
sein wird.«
Am späten Abend, kurz vor zehn, tauchte Francesca in der Buchhandlung auf. Van entdeckte sie, sie blätterte in einem Buch und wirkte wie eine ganz normale Kundin unter den anderen etwa dreißig Lesern, die sich noch zwischen den Regalen aufhielten und allem Anschein nach auch gar nicht daran dachten zu gehen. Sie kam an die Kasse, bezahlte En silence von Daniel Arsand, ein Buch, von dem Ivan ihr tags zuvor vorgeschwärmt hatte, und sagte leise: »In einer Viertelstunde werden etwa acht bis zehn Journalisten hier sein. Schließen Sie die Buchhandlung nicht und setzen Sie vor allem niemanden vor die Tür, sie werden sich unter die Kunden mischen, die noch hier sind. Einige sind übrigens heute schon auf Einladung einer Pressebeauftragten vorbeigekommen, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. In fünf Minuten kommt ein Caterer. Er wird da hinten in der Ecke zwischen Schweden und Albanien ein Büfett aufbauen. Ich werde hier sein, aber als Kundin. Ich werde nichts sagen. Bitte sprechen Sie mich nicht an. Kennen Sie die Atmosphäre einer Vernissage in einer Galerie? Genauso einfach und locker wird es hier zugehen. Wenn Ihnen der Moment geeignet scheint, geben Sie ein Zeichen, irgendwas, klatschen Sie zum Beispiel in die Hände. Stellen Sie die Buchhandlung in zwei Sätzen vor und bieten Sie dann an, Fragen zu beantworten. Es wird welche geben. Die Werbekampagne hat eingeschlagen. Sie werden die Journalisten an ihrer Selbstsicherheit erkennen, aber falls auch die Kunden Fragen stellen, umso besser, antworten Sie jedem.
Auf dem Büfett werden auch stapelweise sehr gut vorbereitete Pressedossiers liegen. Alle sollen sich eins nehmen. Das Dossier wurde gerade schon an zweihundert Redaktionen in Paris und in anderen Städten verteilt.«
Als Van sah, wie der Caterer eintrat, sich kurz umsah und die Anwesenden zählte, dann wieder hinausging und nach drei Minuten zurückkehrte, im Gefolge zwei junge Männer, die Tische aufstellten und sie im Nu mit Speisen aller Art beluden, fühlte er sich an Tischlein deck dich erinnert – er hatte natürlich nicht nur Perraults, sondern auch Grimms Märchen geordert. Ivan kam sich vor wie der junge Schreinergeselle, der sein Wünschtischchen hinstellen konnte, wo er immer wollte, und für sich und seine Gäste die herrlichsten Festmähler herbeizauberte.
Er stellte sich vor das Büfett und bat die Anwesenden, näher zu treten. Langsam bildete sich ein Kreis um ihn. Er sprach zwei Minuten über die Buchhandlung, dann folgte, wie erwartet, Frage auf Frage. Wie groß sei der Anteil der Neuerscheinungen im Sortiment? Wie würden die Bücher ausgewählt? Wozu dieses Geheimnis um die Identität der Komiteemitglieder? Wie wolle man dem zu erwartenden Konkurs vorbeugen? Stehe hinter der Buchhandlung ein Konzern oder ein Unternehmen?
Van hatte keinerlei Mühe mit den Antworten. Sie waren klar und deutlich. Er wies alle auf die Pressedossiers hin und erbot sich, etwaige weiterführende Fragen jederzeit und gern zu beantworten.
Es war fast elf Uhr. Hébert vom Vieil Observateur applaudierte und verabschiedete sich mit etwas gestelzten Worten, die anderen taten es ihm nach, jedoch weit natürlicher. Der Caterer und seine Zauberlehrlinge ließen ihre Aufbauten innerhalb von fünf Minuten verschwinden. Als der Letzte gegangen war, bemerkte Van, dass Francesca schon seit einer ganzen Weile nicht mehr da war.
Er drückte auf einen Knopf, und die feinen Seidenlamellen der Jalousien rauschten leise herunter und trennten die Buchhandlung vom Rest der Welt.
Oscar sank auf eine Bank, Arme und Beine hingen an den Seiten hinunter. Van massierte sich den Nacken.
»Schönster Tag meines Lebens«, stöhnte Oscar.
»Noch nicht vorbei«, erwiderte Van tonlos. »Jedenfalls nicht für mich. Am längsten wird die Auflistung der verkauften Titel brauchen. Es sollte mich nicht wundern, wenn es mehr als fünfhundert wären.«
Er schwankte leicht.
»Wir müssen die Regale schon morgen wieder neu bestückt haben. Stell dir mal vor, es kommen wieder so viele.«
Er verstummte, denn er sah eine Erscheinung. Francesca kam aus der ersten Etage herunter, wahrscheinlich hatte sie sich während der kleinen Pressekonferenz dorthin zurückgezogen. Ihr herrlicher Rock schwang bei jeder Stufe von einer Seite zur anderen. Oscar, dessen Blick ebenfalls an ihr hing, erhob sich.
Sie ging auf Van zu, nahm seine beiden Hände und hob sie auf Kopfhöhe. Dann trat sie einen Schritt zurück und ließ die Hände
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