Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
großen Kübelpflanzen, in der Nähe der Tür der Kassentresen und darunter die Fächer mit Geschenkpapier und den Tüten mit dem schönen Logo, dessen Skizze Francesca eines Tages aus ihrer Tasche gezaubert hatte. Doch Van hätte sich nichts anderes vorstellen können, als an diesem Tag vor der Schlacht in der Buchhandlung zu sein, körperlich anwesend und ganz der guten Sache verschrieben.
Um acht Uhr kam er in der Rue Dupuytren an – er begegnete noch Yassin, der gerade seinen Dienst getan hatte – und suchte dann im Internet nach Informationen über Madame Solario. – Wo sollte man ein Buch einordnen, dessen Verfasser unbekannt war? Er stellte es schließlich zu den englischen Büchern aus den Fünfzigerjahren und öffnete einige Pakete mit Oktober-Neuerscheinungen, die den September-Romanen gewissermaßen in die Hacken traten.
Um neun Uhr trat Francesca in das große Büro, leicht gebräunt, in einem weißen Kleid und die Arme voller Zeitungen.
Van war aufgestanden.
»Heute schon?«
Francesca legte wortlos den Zeitungsstapel auf seinen Schreibtisch. Van hatte verstanden. Und fand die Werbeseite, auf der Der gute Roman angekündigt wurde, in allen Tageszeitungen auf Anhieb: immer gleich gestaltet, wie er bemerkte, mit dem einfachsten der Slogans, über die sie nachgedacht hatten: » Der gute Roman führt gute Romane.« Darunter drei erläuternde Zeilen – gute und nur gute Literatur, Montag, Rue Dupuytren in Paris – doch weder Hausnummer noch Öffnungszeiten, und das Ganze unterlegt von einer wunderbaren Tuschezeichnung von Victor Hugo, die ein Märchenschloss hoch oben auf einem Steilfelsen darstellte.
Van zeigte sich überrascht.
»Ich dachte, diese Salve sei erst für Montag geplant.«
Francesca strahlte.
»Ich wollte Sie wenigstens ein bisschen überraschen, damit Sie nicht das Gefühl haben, Sie sitzen in einem Film, den Sie schon mal gesehen haben. Wir haben so viel darüber gesprochen. Außerdem haben Sie sich zehn wundervolle Slogans ausgedacht, und davon hätten wir sonst nur einen verwendet und die anderen wären verschwendet gewesen.«
»Was meinen Sie damit?«
»Sie werden schon sehen.«
Van hatte es erraten. Am Samstag wurde die zweite Salve abgefeuert, mit dem zweiten Slogan: »Bücher, über die niemand spricht«. Den Hintergrund bildete dieses Mal eines dieser Gemälde aus der Restaurationszeit, die man gern voreilig als »Ölschinken« abtut, eine römische Landschaft, durch die im scharfen Trab ein Tilbury fuhr, an dessen Fenster jeder auch nur halbwegs literarisch gebildete Betrachter das Profil Stendhals erkannte.
Francesca hatte die Fassade der Buchhandlung völlig mit einem Plakat verdecken lassen, am Freitag war es dasselbe Bild wie auf der Hugo-Seite, am Samstag wie auf der Stendhal-Seite. Die Eingangstür war verborgen. Das Schild Der gute Roman war noch nicht angebracht.
Das geschah in der Nacht vom Sonntag auf den Montag.
DRITTER TEIL
27
A m Montag um Viertel nach acht kam Francesca und sah Ivan allein in der Buchhandlung sitzen, auf einer der schönen Polsterbänke.
»Haben Sie schon gesehen?«
Sie brachte die Zeitungen mit. Van war hingerissen von ihrem Kleid, einem lavendelblauen Hemdblusenkleid mit brei tem Gürtel, engem Oberteil, kurzen Ärmeln und einem sehr weiten Rock, der sie bei jedem Schritt umtanzte.
»Die Zeitungen? Nein«, sagte er. »Ich habe auf Sie gewartet.«
Er wollte aufstehen, doch Francesca hinderte ihn daran, indem sie ihm die Hand auf die Schulter legte und sich neben ihn setzte.
»Ich dachte an den Übergang, der heute stattfinden wird«, sagte Van. »Unser Traum« – er machte eine weit ausholende Geste, die die ganze Buchhandlung umfasste – »wird heute von uns in die Hände von Unbekannten gelegt, in deren Macht es steht, ihn Wirklichkeit werden zu lassen, die aber nichts von dieser Macht wissen.«
»Wir werden es ihnen sagen. Wissen Sie, was man unter Begleitwerbung versteht?«
»So ungefähr. Wir werden auch das Internet nutzen müssen. Darüber kann man sehr rasch Tausende von Menschen erreichen.«
»Was halten Sie einstweilen vom heutigen Salut?«
Sie legte Ivan die Zeitungen auf den Schoß. Dieses Mal stand anstelle des Slogans ein langes Zitat von Michel Leiris, ein Auszug aus Aurora :
»Ein Mann, der sich aufmacht, um in Gebieten ewigen Eises Pelztiere zu jagen, vergisst nicht, ein vernickeltes Feuerzeug von gediegener Machart mitzunehmen, und auf dieses Feuerzeug legt er den größten Wert, denn er weiß, sollte
Weitere Kostenlose Bücher