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Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman

Titel: Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Cossé
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er sich einmal verirren und weit und breit keine Menschenseele finden, müsste er sich, um im Schnee kampieren zu können, ein Feuer machen, wenn er nicht steif und starr werden wollte wie ein gefällter Baum. Diese Frau war dieses Feuerzeug. Eine Uhr, die in einer durch die Trockenheit gereinigten Luft Mitternacht schlägt, tut dies nur, wenn ihre beiden Zeiger, der große und der kleine, mit dem senkrechten Halbmesser der oberen Hälfte des Ziffernblatts koinzidieren. Diese Frau war diese Koinzidenz. […] Im Winter, wenn die Eisdecke aufbricht, zerschlägt man mit Spitzhackenhieben das Eis der Flüsse, damit die riesigen Eisschollen wegschwemmen können, ohne die Schiffe in Gefahr zu bringen. Diese Frau war dieser philanthropische, wiewohl den Eisgang beschleunigende Hieb mit der Spitzhacke.«
    Als Hintergrund ein Foto: eine außerordentlich schöne Frauen gestalt mit zur Seite gedrehtem Gesicht vor einer Schnee- und Waldlandschaft. Und in den drei Zeilen Information stand an diesem Montag die genaue Adresse, Der gute Roman , Rue Dupuytren 9 bis , 75006 Paris, und auch die Öffnungszeiten, 10 bis 22 Uhr.
    »Und sehr früh heute Morgen sind in Paris und Umgebung hundert Plakate geklebt worden«, sagte sie. »Diese Plakate sind sehr wichtig, darauf sieht man die Fassade der Buchhandlung, ihren Namen in großen Lettern und in den Schaufenstern und auch dahinter die Bücher. Natürlich ist es eine Fotomontage, das Plakat musste ja vorher gedruckt werden. Und der Slogan lautet nur: › Der gute Roman : gute Romane, sonst nichts.‹ Ivan, ich habe den Eindruck, heute sind mehr Leute auf der Straße als sonst.«
    »Wollen wir unsere Eindrücke nicht lieber erst heute Abend austauschen?«
    »Sie haben recht. Ich verlasse Sie jetzt. Wann kommt Oscar?«
    »Ich habe ihn gebeten, kurz vor zehn da zu sein.«
    Francesca stand auf und ließ ihren Rock wirbeln.
    »Ich verschwinde. Vor heute Abend sehen Sie mich nicht wieder.«
    »Werden Sie wirklich der Versuchung widerstehen herzukommen?«, fragte Van und stand ebenfalls auf.
    »Wenn ich vorbeikomme, dann nur draußen auf der Straße. Ich werde die Buchhandlung nicht betreten.«
    »Und wie wollen Sie sich den ganzen Tag beschäftigen?«
    »Ich muss noch den Roman von Volodine zu Ende lesen und den von Serena anfangen.«
    »Geht es Ihnen gut, Francesca?«
    »Ja, heute Morgen schon. Gestern Abend für einen Augenblick nicht so besonders. Henri war ausgegangen. Er hatte mir einen Zettel auf den Schreibtisch gelegt, wann, weiß ich nicht, ich fand ihn um Mitternacht, nur ein Satz: ›Sie können natürlich mit Ihrem Eigentum machen, was Sie wollen, aber so viel Geld für nichts und wieder nichts zu verschleudern, ist keine Ruhmestat.‹«
    »Hat es Sie verletzt?«
    »Im ersten Moment schon. Aber dann habe ich einen Französischfehler entdeckt, das hat mir wieder Auftrieb gegeben. Pleonasmen haben mich immer amüsiert. Ich wüsste nicht, wie man sein Geld sonst verschleudern sollte, wenn nicht für nichts und wieder nichts. Nein, im Ernst, ich bin davon überzeugt, das, was wir tun, hat Hand und Fuß. Und ich werde es beweisen. Ich habe es mir zwischen ein und zwei Uhr morgens bewiesen, danach konnte ich einschlafen. Wenn ich mein Geld für die Restaurierung eines römischen Viadukts ausgeben würde oder irgendein anderes Meisterwerk des kulturellen Erbes, dann wären alle ganz hin und weg. Unser Unterfangen ist genau das. Wir geben uns alle Mühe, das literarische Erbe zu schützen und zu fördern, das von Vergessen und Gleichgültigkeit bedroht ist, von den Geschmacksverirrungen ganz zu schweigen. Das ist unbestreitbar eine gute Sache.«
    In ihren Augen standen Tränen – in diesen wundervollen blauen Augen, die, wenn sie sich darin zu erkennen gab, so faszinierten, dass man den Blick nicht mehr von ihnen lösen konnte und sie später, wenn man an Francesca dachte, wieder vor sich sah, diese außergewöhnlich strahlenden Augen, glänzend wie die Saphire, die in manchen Statuen die Augen ersetzen.
    Ivan nahm sie bei den Schultern. Sie machte sich los. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, entfaltete sich ein Duft im Raum, der an das Meer erinnerte und an Lavendel.
    Oscar war unglaublich. Als hätte er schon hundert Mal bei der Einweihung einer einzigartigen Buchhandlung mitgewirkt. Die Anhänger des Guten Romans konnten natürlich lesen und fanden sich ab zehn Uhr ein. Um elf Uhr waren sie schon zahlreich, und das blieben sie bis zum Abend. Die meisten waren nur gekommen,

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