Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
Er setzte sich wieder an den Computer und ging auf die Website der Universität Paris IV. Fakultät für Fakultät ging er den Lehrkörper durch. Zwei Dozenten hatten die Initialen A.B.A., Anne-Brigitte Acker und Alain Bernard-Amont. Übrigens gab es, wenn man dem Telefonbuch glauben durfte, in Paris und Umgebung niemanden namens Abéha.
Francesca hielt es für überflüssig, sich nach diesen ABAs zu erkundigen oder ihnen zu schreiben. Denn jeder, meinte sie, würde doch nur sagen: »Ich bin’s nicht.«
Sie hielt es für unerlässlich, darauf hinzuweisen, dass Abéha allem Anschein nach ein Pseudonym war, aber ansonsten hatte sie keinerlei Änderungsvorschläge, was Vans Entwurf anging.
»Der Ton ist genau richtig. Völlig unaggressiv. Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Würde es Ihnen etwas ausmachen, es mit Ihrem Namen zu unterzeichnen?«
»Ganz im Gegenteil, es ist mir eine Ehre.«
»Was machen wir daraus? Einen Brief an diesen Abéha?«
»Ja, aber einen offenen Brief. Eine Antwort an den Unterzeichner, zu Händen des Ponte , den wir um die Veröffentlichung bitten.«
»Sollen wir ihn mit der Post schicken?«
»Das würde zu lange dauern. Ich bringe ihn hin.«
»Lassen Sie mich das tun. Sie haben in der Buchhandlung zu tun. Tippen Sie den Brief und unterzeichnen Sie ihn. Das dauert eine Viertelstunde. Ich warte hier. Oscar kann ihn mir bringen, und dann gehe ich bei der Zeitung vorbei. Ach übrigens, Ivan, was ist das, Paris IV? Welche Universität?«
»Die Sorbonne«, erwiderte Ivan.
Als Oscar kam, zögerte Francesca kurz, dann fragte sie ihn: »Wissen Sie Bescheid?«
»Ja«, sagte der junge Mann ruhig. »Sie dürfen sich nicht wundern. Der Teufel greift mit Vorliebe an, was schön und rein ist.«
Er lächelte.
»An seiner Stelle würde ich es genauso machen. Alles Übrige, was nicht so schön ist, was nicht gut funktioniert, ist das Betätigungsfeld Gottes und der Heiligen.«
Francesca dachte an das reinste und lieblichste Wesen, das sie gekannt hatte, an Violette.
»Setzen Sie sich«, sagte sie. »Glauben Sie an Gott und den Teufel?«
»Ich verstehe es, wenn man nicht an Gott glaubt«, sagte Oscar, »obgleich das für mich persönlich sehr schwierig wäre. Aber dass man nicht an den Teufel glaubt, das zu verstehen, fällt mir wirklich schwer. Da muss man schon sehr zerstreut sein und weder nach rechts noch nach links sehen.«
»Was mir Angst macht, ist dieser schreckliche Kampf zwischen den Mächten, ich meine, weil dieser Kampf unaufhörlich tobt, weil es keinen Sieger und kein Ende gibt und wir nur verschreckte Spielbälle sind.«
»Ich sehe das anders. Ich glaube nicht, dass wir unbeteiligt sind. Ich halte es sogar für unmöglich. Wir sind in einem der beiden Lager, manchmal nacheinander erst im einen, dann im anderen, denn wir haben von Natur aus zwei Seelen in unserer Brust. Doch wir sind dieser Zweiheit nicht ausgeliefert, wir können uns von ihr befreien, das nennt man Fortschritte machen, glaube ich. Natürlich endet der Kampf irgendwann. Ein Lager wird gewinnen.«
»Fortgeschritten sind Sie wirklich für jemanden, der so jung ist.«
»Jung? Ich bin fast fünfundzwanzig.«
»Ein Alter, in dem man meint, man habe schon einiges hinter sich, man sei reif. Sie werden schon sehen, danach merkt man, dass man nicht viel weiß, dass man erst Neuling ist und dann Anfänger. Es wird einem klar, dass man das ganze Leben lang nur übt.«
»Das ist doch nicht traurig!«
»Wirke ich traurig?«
Oscar zögerte. Francesca erwartete, dass er sagen würde: »Nicht immer.«
»Nicht nur«, sagte er.
»Wie weit sind Sie mit Ihrem Roman, Oscar?«
»Er hängt ab, in der Kühlkammer.«
»Haben Sie ihn fertig?«
»Vor der Eröffnung der Buchhandlung habe ich eine erste Version geschrieben, in Ihrem Haus in Méribel. Im Augenblick habe ich anderes zu tun. Das trifft sich gut, ich hatte geplant, das Manuskript für eine Weile zur Seite zu legen, es zu vergessen und es dann mit einem neuen, kühlen Blick zu lesen, dem Blick eines Lesers.«
»Wirklich, Sie sind weise. Und worum geht es in dem Roman?«
»Um das, worüber wir gerade sprachen, um Gott, den Teufel, den großen kosmischen Kampf, die Sanften und die Harten, den Glauben, die Entmutigung …«
»Nur darum!«
»Worüber sollte ich sonst schreiben?«
»Gibt es eine Geschichte?«
»Zehn. Vor allem hat dieser Roman ein Land.«
»Madagaskar?«
»Ja. Es ist ein politischer Roman. Aber ich raube Ihnen Ihre Zeit. Ivan hat mich gebeten,
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