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Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman

Titel: Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Cossé
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Ihnen diesen Brief zu geben, und zwar schnell, hat er gesagt.«
    Francesca sah auf die Uhr.
    »Glauben Sie mir, ich bereue unser Gespräch nicht«, sagte sie und stand auf. »Wenn Sie mögen, setzen wir es einmal fort.«
    Sie ging zu Fuß zum Boulevard Blanqui, zur Redaktion des Ponte , durch die Rue Monge und die Avenue des Gobelins. Sie würde keine halbe Stunde brauchen. Ivans Antwort würde ohnehin nicht schon am nächsten Tag erscheinen. Und sie brauchte Bewegung, das Gehen. Den ganzen Nachmittag über hatte sie sich kleine Barbaren vorgestellt, die hastig diesen schmutzigen Artikel an die Wände klebten. Und nun, als sie mit langen Schritten das fünfte Arrondissement durchquerte, hielt sie Ausschau nach den Engeln. Aber es ist immer schwer, an Engel zu denken, ohne sich stereotype Vorstellungen von ihnen zu machen, und sie hatte gerade langgliedrige Geschöpfe mit kaffeefarbener Haut und zu einem Zöpfchen gebundenem sehr schwarzem Haar vor ihrem inneren Auge.
    Oscar hatte recht, man vergisst allzu leicht den Teufel, das ist ein Fehler. Es war schon acht Uhr abends, als Francesca in der Rue Condé ankam. Noch auf der Straße, unten vor dem Haus, bemerkte sie das Licht hinter den Fenstern. Zu dieser Uhrzeit war das ungewöhnlich. Im Salon traf sie auf Henri, und sie entdeckte sofort Le Ponte . Er hatte ihn auf dem Sofa ausgebreitet, von dem er jetzt aufstand.
    »Sie hätten mir sagen sollen, dass Sie zu Hause zu Abend essen«, sagte sie. »Dann hätte ich mich heute Abend nicht auswärts verabredet.«
    Noch zwei Minuten zuvor hatte sie sich nur eins gewünscht, sich ausstrecken zu können, denn sie war erschöpft. Doch die Aussicht auf ein Tête-à-Tête mit Henri ging über ihre Kräfte. Kaum hatte sie ihn erblickt, da wollte sie schon sagen: »Ich gehe wieder.«
    Doultremont schien ihr all das vom Gesicht abzulesen.
    »Ich habe auch noch etwas vor«, sagte er. »Aber ich wollte Ihnen mein Mitgefühl aussprechen, nach diesem harten Schlag.«
    »Der Artikel in Le Ponte ? Der ist doch eher ein Tiefschlag.«
    »Ein harter Tiefschlag.«
    »Nein, ein so tiefer Schlag ist nicht hart. Man lässt ihn am Boden kriechen, geht an ihm vorbei und setzt seinen Weg fort.«
    »Werden Sie antworten?«
    »Ja, aber gelassen. Nicht im selben Ton.«
    »Wissen Sie, woher der Artikel kommt?«
    »Nein, und ich habe nicht vor, nach der Quelle zu forschen. Seine Herkunft sind Übelwollen, Neid und Mittelmäßigkeit.«
    »Das trifft auf sehr viele Menschen zu.«
    Francesca dachte an Oscar.
    »Nicht unbedingt«, sagte sie.
    Doultremont faltete die Zeitung zusammen und klemmte sie unter den Arm.
    »Gut«, sagte er. »Ich gehe jetzt. Ich fürchtete, es könne Ihnen schlecht gehen, doch ich sehe, Sie haben den Kopf oben behalten. Es beruhigt mich, dass Sie, wie Sie sagen, noch ausgehen. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend.«
    Francesca hob den Kopf und sah Heffner an, der ihr aufmerksam zuhörte.
    »Großtun und die Dickhäutige spielen, das war wahrscheinlich genau das, was ich nicht hätte tun dürfen. Wahrscheinlich war ich provokant. Was Gott weiß nicht meine Absicht war. Ich hatte nur ein Bestreben: mich herauszuwinden. Diesem Gespräch unter vier Augen zu entgehen, in dem ich, allem Anschein zum Trotz, nur mit weiteren Schlägen rechnen musste.«
    »Erzählen Sie weiter«, sagte Heffner.

32
    I vans Entgegnung würde nicht von heute auf morgen gedruckt werden. Aber allzu lange sollte es nicht dauern, wie er sagte.
    »Wie viel Zeit wollen wir ihnen lassen?«, fragte Francesca.
    »Ich schlage vor, wir warten den Montag ab. Wenn in der auf Dienstag datierten Ausgabe nichts erschienen ist, rufe ich in der Chefredaktion an. Ich werde auf mein Recht auf Gegendarstellung hinweisen.«
    Ab dem Donnerstagabend jedoch waren schon die Internet-User aktiv geworden. Die ganze Nacht und an den Tagen darauf tobte die Schlacht. Mehrere Hundert Zuschriften unterstützten Abéha. Herrenliteratur, nein danke! Vorsicht vor den Ordnungshütern im Reich der Literatur, Leser, lasst euch nichts vormachen! Immer wieder diese alte Vorstellung, das Gute zu wollen, dieses Geschwätz, das doch nur Herrschaft und Repression begünstigt.
    Francesca war sehr bedrückt. So alte Hüte! Wie kam es, dass längst überholte Slogans noch solche Wirkung hatten? Im Grunde ist nichts unverwüstlicher als ein Gemeinplatz.
    Ivan fand, dass sich die Angriffe irgendwie ähnelten.
    »Haben Sie das auch bemerkt? Es gibt nicht mehr als vierzehn, fünfzehn Floskeln. Es sollte

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