Der Zauber des Engels
lasse sie zu abhängig von mir werden. Er meint das in Bezug auf die Musik und die Karriere, aber er hat mir noch mehr Vorwürfe gemacht, die völlig ungerechtfertigt sind.«
»Wie kompliziert!« Plötzlich wollte ich gar nichts mehr wissen. Ich machte mich nur lächerlich. Rasch trank ich mein Glas leer und stand auf. »Jetzt muss ich wirklich gehen.«
Als wir an der Haustür standen, wussten wir plötzlich beide nicht, was wir sagen sollten.
»Dieses Mal habe ich meinen Schal nicht vergessen«, meinte ich und wickelte ihn mir fest um den Hals.
Ben zögerte, dann zog er mich auf einmal an sich und küsste mich rasch auf die Wange.
»Danke, dass du es heute Abend mit mir ausgehalten hast«, sagte er leise.
»Schon gut«, antwortete ich schnell. »Ich verstehe dich.« Er öffnete die Tür und trat einen Schritt zurück, um mich vorbeizulassen.
Das war’s jetzt, dachte ich aufgewühlt, als ich die Straße überquerte. Ich würde vermutlich nie wieder allein mit ihm sein.
Wie im Nebel nahm ich eine Alarmanlage wahr, die quer über den Platz schrillte, ohne dass mir das Geräusch wirklich ins Bewusstsein drang. Ich drehte mich um und winkte Ben zu, zum letzten Mal, wie ich dachte. Als ich die kleine Parkanlage erreicht hatte, schaute ich noch einmal zurück, aber er hatte die Tür bereits geschlossen. Ich fühlte mich schrecklich einsam.
Die Alarmanlage schrillte immer weiter. Wieso steht nicht endlich jemand auf und stellt sie ab, dachte ich genervt und lief weiter.
Erst ganz allmählich dämmerte es mir, dass die Alarmanlage aus der Richtung von Minster Glass kam. Als ich den Laden erreichte, blieb ich wie erstarrt stehen. Im Schaufenster, direkt über Dads Engel, war ein tellergroßes Loch. Scherben glitzerten auf dem Gehweg.
Ein langgezogener Schrei übertönte den Alarm. Ich brauchte einen Moment, ehe mir klar wurde, dass er von mir stammte. Während ich durch die Grünanlage zu Bens Wohnung zurückrannte, schrillte der Alarm immer weiter.
Als ich mit Ben zu Minster Glass zurückkehrte, hatten sich ungefähr ein halbes Dutzend Leute vor dem Laden versammelt.
»Natürlich habe ich sofort die Polizei benachrichtigt«, sagte ein älterer Mann in einem Morgenmantel mit Paisleymuster und Hausschuhen. Beim näheren Hinsehen erkannte ich, dass es Mr. Broadbent war, der Besitzer des Antiquariats. Er war mal bei uns gewesen, um sich nach Dad zu erkundigen. »Das erschien mir das einzig Sinnvolle zu sein, damit hier wieder Ruhe herrscht.«
»Es tut mir leid«, sagte ich schwach, aber eine Frau, die in ihrem kurzärmeligen Top sicherlich fror, wies ihn sofort zurecht.
»Es ist doch nicht ihre Schuld, wenn irgendjemand einfach einen Stein in ihr Schaufenster wirft.«
Ben kümmerte sich sofort um alles. Er achtete darauf, dass niemand etwas anrührte, schaute im Hof nach, ob es Hinweise auf einen Einbruch gab, und berichtete dann, dass es nicht so war. Er legte mir eine Decke, die irgendwer herausgebracht hatte, um die Schulter, denn ich zitterte vor Kälte und Schock.
Wenige Minuten später erschien die Polizei – ein Inspektor und seine gelangweilt dreinblickende Kollegin in einem winzigen Streifenwagen. Unter ihrer Aufsicht durfte ich den Laden aufschließen und die Alarmanlage abstellen. Dann warteten Ben und ich, bis die Beamten den Schaden aufgenommen und die Nachbarn befragt hatten. Niemand hatte etwas Verdächtiges gesehen. Sekunden später drang plötzlich die Stimme des Inspektors aus dem Laden. »Kommen Sie und sehen Sie sich das an!«
Man hörte Glas unter seinen Schuhen knirschen.
»Die Tatwaffe!« Der Inspektor hob etwas auf, das aussah wie eine mit einem Stück Stoff umwickelte Glaskugel. »Sie muss mit ziemlicher Wucht geworfen worden sein.« Er steckte sie in einen Zellophanbeutel, den er hochhielt und genau betrachtete. Die Kugel hatte ungefähr die Größe einer Grapefruit und sah aus, als sei sie mit pinkfarbenem und violettem Dampf gefüllt.
Ben sah ihn interessiert an. »Ein Briefbeschwerer, oder?«
»Woher kommt der?«, fragte ich. »Und wieso ist er nicht zerbrochen, als er zu Boden fiel?« Die Antwort auf die zweite Frage war einfach – er war einigermaßen sanft auf einem Stuhl gelandet, der nun umgestürzt war.
»Das hier brauchen Sie für Ihre Versicherung. Sie sind doch versichert, oder?« Der Inspektor kritzelte seine Initialen auf das Schriftstück und riss den oberen Teil für mich ab.
»Ich denke schon.«
»Sie sollten das Fenster lieber vergittern lassen. Wir melden
Weitere Kostenlose Bücher