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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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konnten. Ein- oder zweimal erhaschte ich einen kurzen Blick auf sie. Wenn sie nicht vor sich hinstarrte, schaute sie angestrengt auf die Noten, um zu verfolgen, wann ihr Einsatz war.
    Ben ließ uns wieder zehn Minuten lang Stimmübungen machen, dieses Mal, ohne dass jemand protestierte; anschließend sangen wir den Chor der Engel . Unser Dirigent schien zunächst gut gelaunt zu sein, aber dieser Zustand dauerte nicht an.
    »Ich weiß ja, dass so viele Stimmen gleichzeitig kompliziert sind«, sagte er. »Aber es muss absolut perfekt sein. Ihr müsst das Publikum in den Himmel singen. Elgar befand sich in einem nahezu ekstatischen Zustand, als er den Gerontius schrieb; er fühlte sich, als sei er selbst im Himmel bei den Engeln gewesen. Ihr müsst also quasi alle Engel sein.«
    Daraufhin gab es einiges Gekicher, und einige der jüngeren Männer verzogen das Gesicht. Aber das Lachen legte sich bald, als wir den Part durcharbeiteten. Ben musste uns immer wieder unterbrechen, weil die eine oder andere Stimme ihre Tonlage verloren hatte. Schließlich sangen wir die Fuge Lob dem Heiligen in der Höhe und sanken dankbar auf unsere Stühle.
    »Das war absolut grauenvoll«, stöhnte Ben gequält. »Ganz einfach grauenvoll. Ich habe keine Ahnung, wie wir das in der kurzen Zeit, die uns noch bleibt, hinkriegen sollen. Die Tenöre und Bässe waren völlig daneben. Die Altstimmen haben sich zwischendurch angehört wie ein Muhen. Ja, Muhen! Aber ihr seid keine Kühe, du meine Güte, ihr seid Engel! Und die Sopranstimmen! Die erste Stimme war gar nicht so übel«, bei diesen Worten lächelte die erste Reihe selbstgefällig, »aber die zweite hat mir gar nicht gefallen. Warum achtet ihr nicht auf mich? Jetzt schlagt bitte noch mal alle Seite fünfundneunzig auf. Graham, spiel noch einmal von Takt fünfundsechzig an. Und ihr konzentriert euch bitte.«
    Ich blickte mich um, um zu sehen, wie der Chor auf die Schimpftirade reagierte. Einen Moment lang hörte man nur das Umblättern der Seiten. Eine düstere Stimmung hatte sich ausgebreitet. Ein paar Leute sahen richtig sauer aus.
    An diesem Abend ließ Ben uns sehr hart arbeiten. Wir übten und übten, bis wir es nicht mehr hören konnten. Aber während ich ihn beobachtete, wie er sich mit der Hand durchs Haar fuhr, leise den Takt zählte, sich auf die Musik konzentrierte, merkte ich, was für ein guter Chorleiter er war. Er besaß den Willen und die Vision, um das Beste aus uns herauszuholen. Und, was noch wichtiger war, es interessierte ihn nicht, ob wir ihn dafür hassten.
    »So!«, meinte er schließlich, nachdem er zehn Minuten überzogen hatte. »Zum Schluss war es ganz passabel. Und das ist das beste Kompliment, das ihr mir heute Abend entlocken könnt. Danke, Graham, du warst sensationell.« Und dann drehte er uns den Rücken zu.
    Ich suchte meine Sachen zusammen und rechnete mit missmutigem Grummeln um mich herum, aber alle schienen ein schlechtes Gewissen zu haben.
    »Wir sind richtig mies, oder?«, sagte die Frau neben mir zu ihrer Nachbarin. »Ich muss vor der nächsten Probe unbedingt mehr üben.«
    »Das habe ich eigentlich getan«, antwortete die alte Dame und steckte ihre Brille in ein Häkeletui. »Aber irgendwann bin ich völlig aus dem Tritt gekommen. Ich werde mir mal die CD von Deirdre leihen.«
    »Was meinst du, Jo?«, fragte ich und ging auf sie zu. Sie saß völlig erschöpft auf ihrem Stuhl.
    »Ich bin ziemlich müde. Ehrlich gesagt, habe ich auch etwas Kopfschmerzen.« Sie lächelte verkrampft. »Ich werde heute Abend nicht mehr in den Pub mitkommen, das muss ich nur noch Dominic beibringen.«
    Ich sah zu, wie die beiden miteinander sprachen. Dominic legte fürsorglich den Arm um ihre Schulter, und Jo sagte zu mir: »Dominic will mich nach Hause bringen. Ich rufe dich an, okay?«
    Ich nickte. »Tu das. Gute Besserung.«
    »Fran?« Ben bahnte sich einen Weg durch eine Gruppe Baritone, die Stühle aufeinanderstapelten. Seine Haare standen struppig ab, und er sah ziemlich mitgenommen aus.
    Ehe er mich erreichte, kam Michael auf uns zu. »Ihr zwei wollt nicht zufällig noch in den Pub, oder?« Ich sah ihn erstaunt an. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass Michael seine Coolness jemals ablegte, aber heute Abend schien er irgendwie durcheinander zu sein. Und als Ben knapp antwortete: »Nein, ich jedenfalls nicht«, und ich die Enttäuschung in Michaels Gesicht sah, wusste ich, dass es zwischen ihnen Streit gegeben haben musste.
    »Was ist mit dir, Fran?«, fragte

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