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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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Nina, die sich mit einem Wespentaillenkleid im Fünfzigerjahre-Schick zur Schau stellte, saß steif da; unter dem dünnen Stoff zeichnete sich jeder einzelne Wirbel ab. Michael und mich würdigte sie kaum eines Blickes, schaute stattdessen immer wieder zu Ben. Michael wiederum konnte den Blick nicht von ihr lösen; die Verzweiflung war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Ben schien gar nicht zu bemerken, dass was nicht stimmte, während mir lediglich die Rolle der Zuschauerin blieb. Beklommen verfolgte ich die Farce, die sich vor mir abspielte, während ich hin- und herlief, das Essen servierte und mich von Minute zu Minute unwohler fühlte. Aus den Gesprächsfetzen schloss ich, dass irgendwas passiert sein musste. Ich ahnte, was es gewesen sein könnte, wollte es jedoch nicht wahrhaben.
    »Weißt du, wen ich gestern in der Barbican Hall gesehen habe?«, fragte Michael. »Bea.«
    »Tatsächlich?« Ben zuckte kaum merklich, während er die Gabel zum Mund führte. »Wie geht’s ihr denn?«
    »Sie sah gut aus. Ihr Mann war dabei – Ivan oder Ian oder so ähnlich. Sehr netter Typ. Sie haben einen kleinen Sohn.«
    »Hm.« Ben nickte. »In letzter Zeit lese ich ihren Namen kaum noch.«
    »Sie spielt viel im Ausland, hat sie gesagt. Auf mich hat sie jedenfalls einen sehr zufriedenen Eindruck gemacht.«
    »Und wer ist Bea?«, fragte Nina lächelnd.
    »Eine alte Freundin von Ben. Von der Musikhochschule«, antwortete Michael rasch.
    »Wer möchte noch einen Schluck Beaujolais?«, fragte Ben. »Nina, du siehst aus, als könntest du noch ein Gläschen vertragen. Komm, zier dich nicht so.«
    »Nein, Ben, wirklich nicht. Danke.« Nina legte die Hand über ihr Glas und kicherte. »Du weißt ja, wie ich auf das Zeug reagiere.«
    Michael warf ihr einen alarmierten Blick zu. »Lass sie, Ben«, sagte er.
    »Und wenn ich doch will«, sagte Nina und hielt ihr Glas hin. Michael runzelte die Stirn.
    »Ich nehme auch noch ein Glas, Ben«, sagte ich. Vielleicht konnte man diesen Abend tatsächlich nur beschwipst überstehen.
    Sie gingen früh. Nina rutschte im Taxi an das eine Ende der Rückbank, Michael an das andere.
    »Sieht so aus, als wäre Michael ziemlich chancenlos«, kommentierte ich, nachdem Ben die Tür geschlossen hatte.
    Er zuckte mit den Schultern. Ich wusste, dass es ihn nerven würde, aber der Wein hatte meine Zunge gelockert. »Ich bin nicht sicher, ob ich ihre beste Freundin bin.«
    »Wieso?« Er ließ sich in einen Sessel fallen und gähnte.
    »Ben, das musst du doch merken.«
    »Was?«
    »Dass sie dich anhimmelt.«
    Dieses Mal lachte er nicht und wies alles von sich, sondern sagte bloß: »Ach, das« – mit ziemlich düsterer Stimme.
    Ich setzte mich auf einen Stuhl gegenüber. Wieso war mir selbst neben dem Kaminfeuer so kalt? Er begann mit den Fingern auf die Sessellehne zu trommeln, als würde er irgendeinen Takt zählen, den ich nicht hören konnte. Eins, zwei, drei, vier; eins, zwei, drei, vier. Die Uhr tickte dazu im Rhythmus, sodass es sich am Ende anhörte wie eins-Tick, zwei-drei-Tick, vier-eins-Tick, zwei-drei-Tick, vier … bis es mich völlig wahnsinnig machte. Ich stand auf.
    »Ich räume den Tisch ab«, verkündete ich.
    »Nein, lass nur«, protestierte Ben, aber ich fing trotzdem an, das Besteck in die Spülmaschine zu räumen. Nach einer Weile kam er in die Küche und half mir. Er pfiff leise vor sich hin. Heute Abend wirkte er distanziert und fremd, und ich wusste nichts zu sagen, was nicht völlig verkrampft gewesen wäre.
    Schließlich überraschte er mich, indem er den Arm um mich legte. »Bleibst du über Nacht?«
    Aber mir war die Lust vergangen. »Eigentlich nicht. Ich muss morgen arbeiten.«
    Er lächelte. »Einer von uns muss am nächsten Morgen immer früh raus, oder?« Aber er nahm seinen Arm weg und steckte die Hände in die Hosentaschen. Irgendwie wirkte er enttäuscht.
    Es war, als wäre irgendwas zwischen uns zerbrochen. Ich wandte mich ab, war aber nicht in der Lage, mich dem Gedanken zu stellen. Ben ging weg, und Sekunden später hörte ich sanfte Klaviertöne. Sicher war es eins der Kirchenlieder für Sonntag, aber dann begann er eine Nocturne von Chopin.
    Ich verschwand nach oben auf die Toilette.
    Er hatte das Licht im Bad angelassen. Auf dem Waschbecken waren frische Blutspuren zu sehen; ein offenes Päckchen mit Pflastern lag auf dem Rand. Ich schob die Streifen, die herausgerutscht waren, wieder in die Schachtel zurück. Dann sah ich, dass der Badezimmerschrank offen war; also

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