Der Zauber des Engels
Frau damit gedroht, alles öffentlich zu machen und vielleicht sogar zur Presse zu gehen.«
»Möglicherweise hat er ja auch Angst, du könntest dich an die Presse wenden.« Diese Version erschien mir wesentlich wahrscheinlicher. Seine Frau würde die Affäre ganz sicher nicht öffentlich machen, sondern sich und die Kinder um jeden Preis beschützen wollen.
»Oh, nein.« Jo schüttelte empört den Kopf. »Johnny weiß, dass ich gegen alle meine Grundsätze verstoßen würde, wenn ich so etwas täte.«
Der glückliche Johnny, dachte ich bitter. Er würde völlig unbeschadet aus der Sache rauskommen. Jo würde sich niemals an ihm rächen. Für einen wie ihn war sie viel zu gut.
Jo starrte auf das zerrupfte Papiertuch in ihrem Schoß. Ich umarmte sie noch einmal. »Wir sollten nicht die ganze Zeit hier herumsitzen und grübeln. Lass uns was Schönes machen. Irgendwo hingehen, was Nettes essen und viel trinken.«
»Du klingst ja, als hättest du Übung in so was«, antwortete sie und schnäuzte sich die Nase.
»Das kannst du mir glauben, Jo.« Wenn sie nur wüsste, wie recht sie hatte.
Also machte Jo sich ein bisschen hübsch, und dann fuhren wir mit dem Bus zum Trafalgar Square und gingen zu Fuß zu einem Restaurant in der Nähe von Covent Garden. Nach einigen tröstenden Cocktails und einer großen Peperonipizza ging es Jo langsam besser.
»Ich war wirklich am Ende«, sagte sie. »Diese ständige Ungewissheit war unerträglich. Ich bin froh, wenn ich endlich wieder normal leben kann. Aber er war so nett«, fügte sie dann hinzu und fing wieder an zu weinen.
»So nett kann er gar nicht sein, wenn er dir das Leben zur Hölle macht«, antwortete ich. Doch dann dachte ich an Ben und an das, was ich mir von ihm gefallen ließ. »Weiß im Heim jemand von ihm?«
»Sie vermuten, dass da was läuft, aber ich habe nie ein Wort darüber verloren.« Jo zuckte mit den Schultern. »Weißt du was? Amber war so süß. Ich habe ihr zwar nicht erzählt, was los ist, bloß, dass es was mit einem Mann zu tun hat, aber sie ist so … sensibel und nett, findest du nicht auch?«
Ich nickte. »Amber ist ein ganz besonderes Mädchen.« Dann nahm ich allen Mut zusammen und erzählte ihr von Ben. »Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen, dich damit zu belasten. Aber ich möchte nicht, dass du denkst, ich würde dir etwas verheimlichen. Ich bin mit Ben zusammen.«
Ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen. »Ehrlich?«, antwortete sie mit großen Augen. »Das hab ich mir gleich gedacht. Wie schön! Ich freue mich für dich!«
»Danke.«
Sie leckte ihren Dessertlöffel ab. »Aber ich bin überrascht, dass du noch nicht zur ersten Sopran-Reihe gehörst, die ihn immer so anhimmelt. Anders als ich brauchst du dich doch nicht mehr in der letzten Reihe verstecken und hoffen, dass er dich nicht hört.«
»Ich schwöre dir, ich werde mich auch weiterhin in der letzten Reihe verstecken«, antwortete ich lachend.
Es tat gut, ihre Augen wieder blitzen zu sehen. Vielleicht steckte sie doch nicht so tief im Schlamassel und würde rasch über die Enttäuschung hinwegkommen.
Aber ich irrte mich. Die Sache mit Johnny war längst noch nicht vorbei. Sie lauerte im Verborgenen und wucherte dort zu einem bösen Geschwür heran. Und es dauerte nicht mehr lange, bis auch ich endlich den Tatsachen ins Auge blicken musste: Die Beziehung zwischen mir und Ben lief keineswegs gut.
29. KAPITEL
Schöner und unwirksamer Engel, der in der Leere vergebens mit seinen leuchtenden Flügeln schlägt.
Matthew Arnold über Shelley, Vorwort zu Byrons Poems
An einem Montagabend mitten im Oktober rief Ben mich vor der Chorprobe an und sagte mir, er habe Michael und Nina für den nächsten Abend zum Essen eingeladen. Ob ich auch Lust hätte zu kommen?
»Heißt das, du möchtest, dass ich koche?«, scherzte ich.
»Natürlich nicht! Wie kannst du so was denken?« Er schien ernsthaft empört zu sein. Ich kam dennoch früher, und natürlich sah die Küche aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Schlimmer noch, Ben hatte sich gerade mit einem Gemüsemesser in den Finger geschnitten.
Ich beruhigte ihn und schickte ihn nach oben, um sich ein Pflaster zu holen, dann kümmerte ich mich ums Essen. Ich beschloss, das Hähnchen zu braten, ehe alles in eine Auflaufform kam, sonst würde es ewig dauern.
Es war der schlechte Auftakt eines zunehmend anstrengenden Abends.
Nina und Michael kamen zusammen, und man merkte sofort, dass zwischen ihnen Spannungen herrschten.
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