Der Zauber des Engels
du denn angestellt?«, fragte ich entsetzt.
»Es ist so schrecklich, und es wird so viele Probleme geben. Warum habe ich das nur zugelassen?«
Was konnte sie denn nur getan haben? Jo, die doch vor Unschuld und Gutmütigkeit nur so triefte.
»Warum erzählst du nicht einfach von Anfang an?«, schlug ich leise vor und reichte ihr ein Papiertuch.
Ein Seufzer schüttelte sie, bevor sie nickte und sich die Augen trocken wischte. »Es war damals im Juni«, begann sie und knetete das Papiertuch in ihrem Schoß. »Am Vierundzwanzigsten. Das Datum werde ich nie vergessen. Er war damals gekommen, um sich das Heim anzuschauen.«
»Wer?«
»Ein Parlamentsabgeordneter, der unter anderem für Obdachlose zuständig ist. Johnny Sutherland, vielleicht hast du schon mal von ihm gehört.« Hatte ich nicht. »Anfang des Jahres hatte die Kirche Staatsmittel beantragt, um unser Heim zu vergrößern. Johnny saß im Entscheidungsgremium und war bei uns, um sich unsere Einrichtung anzusehen. Ich habe ihn damals herumgeführt. Er war supernett und sehr interessiert. Er hat ziemlich gute Fragen gestellt, und man hatte das Gefühl, als würde er unsere Probleme tatsächlich verstehen. Das war allerdings alles, was ich damals über ihn gedacht habe.«
Sie hielt kurz inne. »Wie auch immer, ein paar Tage später bin ich ihm auf der Rochester Row begegnet. Er hatte gerade versucht, ein Taxi zu bekommen, aber alle, die vorbeifuhren, waren belegt. Ich sagte Hallo und freute mich, dass er sich noch an mich erinnerte. Ich schlug ihm vor, es mal an der Victoria Station zu versuchen, und da wir die gleiche Richtung hatten, sind wir zusammen gegangen. Als ich zu Hause ankam, unterhielten wir uns gerade so gut. Also habe ich ihn eingeladen. Wir haben wirklich nur Kaffee getrunken, aber uns prächtig verstanden. Er war einfach supernett.
Eine Woche später, Anfang Juli, hat er angerufen, um mich zu fragen, ob ich Lust hätte, mit ihm was trinken zu gehen. Er wolle gern noch ein paar Einzelheiten über das Heim wissen, sagte er, ein paar Fakten hinter den nüchternen Zahlen auf dem Antragsformular. So hat es dann angefangen. An dem Abend hat er mir erzählt, dass er Probleme mit seiner Frau habe. Ich habe ihm angeboten, darüber zu sprechen, weil ich dachte, es würde ihm vielleicht helfen. Er hat mir leidgetan, ganz besonders deshalb, weil er drei Kinder hat. Es wäre doch eine Schande, wenn die Ehe zerbrechen würde, nur weil er niemanden hat, mit dem er reden kann.«
»Ach, Jo.« Das war typisch für sie, immer versuchte sie zu helfen. Doch dieses Mal war sie in die Honigfalle getappt: ein Mann in Schwierigkeiten, der angeblich nur die sanfte Hand eines guten Engels brauchte, um wieder auf den rechten Pfad zurückzufinden.
»Wir haben uns ein paarmal getroffen, und dann … Es war ein echter Schock, als er mir auf einmal sagte, dass er seine Frau verlassen würde. So einfach aus dem Nichts heraus. Er meinte, er hätte sich in mich verliebt.«
»Und was hast du dazu gesagt?«
»Was hätte ich sagen sollen? Dass ich sehr geschmeichelt sei, natürlich, und ihn sehr nett fände und alles, aber dass ich auf keinen Fall dafür verantwortlich sein wollte, dass seine Familie zerbrach. Ich habe ihm gesagt, dass wir uns nicht mehr treffen könnten.«
»Ich nehme an, ihr habt es trotzdem getan?«
»Ja. Er hat ständig angerufen und mir Blumen ins Heim geschickt – es war unglaublich peinlich. Ich weiß nicht, was meine Kollegen gedacht haben.« Aber das Lächeln in Jos Gesicht ließ mich vermuten, dass sie es genossen hatte, ein Mal im Leben im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.
»Ich habe einem weiteren Treffen nur zugestimmt, weil ich ihm sagen wollte, dass es vorbei ist. Aber du kannst dir sicher denken, was passiert ist.«
»Es war nicht vorbei.«
»Ich habe ihm geglaubt, Fran. Ich war ganz sicher, dass er mir die Wahrheit sagt. Er war ehrlich unglücklich mit seiner Frau, er wollte sie ganz bestimmt verlassen. Plötzlich liebten wir uns, und alles war wunderschön. So glücklich bin ich noch nie gewesen. Aber jetzt werde ich es vermutlich nie mehr sein.« Sie sah mich verzweifelt an. »Wie auch immer, während des ganzen nächsten Monats hat er mir immer wieder versichert, nach dem Familienurlaub in der Toskana würde er mit seiner Frau reden. Als er im August zurückkam, war die Party zum dreizehnten Geburtstag seiner Tochter die nächste Entschuldigung; er meinte, vorher könne er ihr das auf keinen Fall antun. Und so ging es immer
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