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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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vorüber sei, dass sie zurückgekommen sei, um die Beziehung mit mir wieder in Ordnung zu bringen. Ich hörte ihr nicht zu. Ich war sauer, wollte nichts wissen. Sie hatte alles verdorben. Ich hatte sie angebetet, hatte ihr alles gegeben, und sie hatte es einfach weggeworfen. Ich konnte es nicht mehr ertragen, sie zu sehen.
    Ich schrie leise auf, und Jeremy hörte auf zu lesen. »Typisch Dad«, flüsterte ich und erinnerte mich an die wenigen Male, als er so richtig böse auf mich gewesen war. Sein Ärger konnte eiskalt sein, und er hatte sich tagelang zurückgezogen, bis ich vor lauter Traurigkeit nicht mehr konnte. Vielleicht war das der Grund, weshalb er am Ende so wenige Freunde hatte. Wenn er loyal zu jemandem war, erwartete er auch umgekehrt bedingungslose Loyalität und Gehorsam. Wie König Kophetua, dessen Bild er von der Wand gerissen hatte, hatte er sein Bettlermädchen verehrt, und das hatte ihn bitter enttäuscht. Meine Mutter bekam keine zweite Chance.
    »Lesen Sie weiter«, bat ich Jeremy leise.
    Ich ging aus dem Zimmer und kam ein oder zwei Sekunden später mit Dir in den Armen zurück. Ich wollte Angela wehtun, ihr zeigen, was sie verlor. Ich sagte ihr, sie solle sich von Dir verabschieden und gehen. Und ich sagte ihr auch, dass ich die Scheidung einreichen und das Sorgerecht für Dich erstreiten würde. Da sie so viel Zeit weg von zu Hause verbracht hatte, war ich sicher, dass es mir gewährt würde.
    Angela schrie verzweifelt auf und versuchte, Dich mir zu entreißen, aber ich schob sie weg. Sie weinte, sie wisse nicht, wohin sie sollte, und ich sagte ihr barsch, sie solle zu ihrem Liebhaber gehen. Da gestand sie mir, dass diese Möglichkeit nicht mehr bestände. »Dann geh zu deinen Eltern«, rief ich, riss ihren Koffer vom Kleiderschrank und warf ihn ihr vor die Füße. Ich sah zu, wie sie ein paar Kleidungsstücke einpackte und dann ihre Handtasche und ihren Kosmetikkoffer nahm. Sie schluchzte Dir ein Adieu zu, ein verzweifeltes Adieu, das mich noch heute in meinen Träumen verfolgt, und lief aus der Wohnung.
    Es ist sinnlos, darüber zu spekulieren, wie alles ausgegangen wäre, hätte sich das nicht ereignet, was als Nächstes passierte. Aber glaub mir, diese Spekulationen haben mich für den Rest meines Lebens verfolgt. Vielleicht hätten wir beide noch eine Chance gehabt, wenn wir uns erst einmal beruhigt hatten. Aber leider kam es nicht dazu.
    Ich ging mit Dir ans Fenster. Die Szene, die sich dann vor meinen Augen abspielte, hat sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich sah sie auf die Straße treten und zu mir hinaufschauen, mit einem Ausdruck der Verzweiflung, der mich bis heute nicht loslässt. Aus der Verzweiflung wurde Entsetzen, als ein Auto um die Ecke geschossen kam und sie umriss. Wir rannten auf die Straße, aber es gab nichts mehr, was ich tun konnte. Sie ist noch in derselben Nacht im Krankenhaus gestorben.
    Jeremy stockte. Ich starrte auf die gegenüberliegende Wand und ließ in Gedanken alles noch einmal Revue passieren. Ich bin dabei gewesen. Ich hatte sie streiten hören. Aber zum Glück besaß ich keine Erinnerung daran. Ich war bei meinem Vater gewesen, als er auf die Straße gerannt war, als der Krankenwagen gekommen war, als sie sie weggebracht hatten. Meine Mutter. Ich stellte mir vor, wie ich geweint habe, nach ihr geschrien, wie ich mitbekommen habe, dass etwas Schreckliches passiert sein musste, ohne zu begreifen, was. Aber ich konnte mich an nichts erinnern. Ich konnte mich nur daran erinnern, wie sie mich immer an sich gedrückt hatte, an das Muster eines Kleiderstoffs, an ihren Duft.
    »Alles okay?«, fragte Jeremy leise.
    Ich nickte stumm. Und nach einer Weile sagte ich: »Er hat sie getötet – das ist es, was er gedacht hat, stimmt’s? Dass er sie getötet hat.«
    »Das ist die Last, mit der ich jahrelang gelebt habe«, las Jeremy weiter.
    Dass meine Wut und meine Unnachgiebigkeit zu ihrem Tod beigetragen haben. Ich habe Dir Deine Mutter genommen, Fran, und das kann ich mir nie verzeihen. Ich habe mich nie getraut, Dir von ihr zu erzählen, nicht weil das so schmerzhaft für mich ist, sondern weil ich Angst hatte, Dich auch noch zu verlieren. Ich dachte, Du würdest mich hassen, wenn Du erfährst, dass auch ich Schuld habe an ihrem Tod. Wenn Du aufwachsen würdest, ohne davon zu wissen, dachte ich, würdest Du sie nicht vermissen und vielleicht trotzdem glücklich sein. Erst kürzlich ist mir klar geworden, dass ich mich geirrt habe. Ich bedaure das

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