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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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»Bitte erst nach dem Tod des Vaters öffnen.«
    Nach kurzem Zögern öffnete ich den Umschlag und faltete das Blatt Papier auseinander, das sich darin befand. Das Schreiben war auf den 1. Juli 1993 datiert; das lag vier Monate zurück.
    Meine liebe Fran,
    wenn Du diesen Brief liest, habe ich endgültig versagt und meine Pflicht versäumt, Dir Dinge zu erzählen, die zu erfahren Du ein Recht hast. Während ich das nun schreibe, bete ich daher zu Gott, dass Du diese Worte nie wirst lesen müssen, sondern dass ich den Mut finde, sie Dir von Angesicht zu Angesicht zu sagen, und den Brief anschließend vernichten kann. Aber ich fürchte mich immer noch, persönlich vor Dich zu treten, meine geliebte Tochter, weil ich Angst habe, auch das letzte bisschen Liebe zu verlieren, das mir geblieben ist. Ich habe Angst, dass Du die Achtung vor mir verlierst. Ich habe Angst, dass Du mich zurückweist. Und ich habe vor all diesen Dingen deshalb Angst, weil ich Dich so sehr liebe. Du wirst das vielleicht nicht glauben, zumal es von Deinem alten, brummigen Dad stammt, aber es ist wahr. Seit ich Dich das allererste Mal in den Armen gehalten habe, wollte ich Dich vor allem Übel bewahren, Dir alles geben, was ein Vater seinem Kind geben sollte. Ich ahnte damals nicht, dass ich so schnell und so gründlich versagen würde.
    Die Worte verschwammen mir vor den Augen, und ich konnte nicht weiterlesen. Endlich sagte mir Dad all die Dinge, nach denen ich mich so gesehnt hatte. »Jeremy«, flüsterte ich und hielt ihm zitternd den Brief hin. »Können Sie mir das bitte vorlesen? Ich kann nicht …«
    »Natürlich.« Er nahm den Brief, hielt ihn ins Licht und fing an, mit lauter, klarer Stimme zu lesen.
    Ich bin stolz auf Dich, Fran. Trotz meines Versagens bist Du zu einer schönen, begabten und unabhängigen Frau herangewachsen. Ich weiß, dass wir uns auseinandergelebt haben, und ich bereue meine Dummheit, meine Lügen und Ausreden zutiefst. Ich vermisse Dich und würde mir so wünschen, Du kämst zurück nach Hause. Wenn wir miteinander telefonieren, wieso kann ich meinen Stolz dann nicht überwinden und Dich bitten, mich zu besuchen? Stolz, Schuldgefühle und Trauer halten mich nun schon so lange gefangen. Jeremy hat mir die Augen geöffnet, aber vielleicht ist nun alles zu spät. Alles, was mir nun bleibt, ist, Dir die Wahrheit zu sagen, die Wahrheit, die ich Dir schon vor Jahren hätte erzählen müssen, und Dich um Verzeihung zu bitten.
    Ich werde damit beginnen, Dir zu berichten, wie ich Deine Mutter kennengelernt habe. Es war auf einem Weihnachtskonzert in einer Kirche in Nord-London. Sie hat das alte deutsche Lied Es ist ein Ros entsprungen mit solcher Inbrunst gesungen, dass ich völlig fasziniert war. An jenem Abend war sie besonders schön. Sie trug ein langes schwarzes, rot durchwirktes Kleid, das perfekt zu ihren Lippen passte. Ihr Haar war auf dem Kopf zusammengesteckt und glitzerte vor Schmuck.
    Nach dem Konzert haben die Sänger sich unters Publikum gemischt; es gab Wein und kleine Pasteten. Angela stand mit einigen Freunden zusammen. Sie unterhielt sich zwar mit ihnen, wirkte aber ein bisschen müde. Mein Musiker-Freund, mit dem ich zusammen zu dem Konzert gekommen war, bemerkte, dass ich sie die ganze Zeit anstarrte, und bot an, sie mir vorzustellen. Aus der Nähe wirkte sie noch hübscher; sie hatte so ein nettes Lächeln. Irgendwie gelangen mir ein paar halbwegs intelligente Sprüche über die Musik, und sie war herrlich unkompliziert. Wir unterhielten uns eine Zeit lang über Bach und über ihren Beruf. Aus ein oder zwei flüchtigen Bemerkungen schloss ich, dass sie sich in dieser eleganten, kultivierten Welt nicht so richtig zu Hause fühlte. Ihr Vater arbeitete als Beamter bei der County-Verwaltung von Suffolk; es war ihm sehr schwergefallen, ihre Ausbildung zu finanzieren. Sie löste bei mir Bewunderung und einen Beschützerinstinkt aus. Später, als ich ging, sah ich sie ganz verloren auf den Stufen vor der Kirche sitzen. Ich bestellte ein Taxi für sie, doch dann teilten wir es uns, weil Westminster nur ein paar Meter von Pimlico entfernt war, wo sie ein Zimmer hatte.
    Als ich zu Hause aus dem Taxi stieg, hatte ich ihre Telefonnummer. Sie war auf dem Konzertprogramm vermerkt, das ich sorgfältig in meiner Brusttasche verstaut hatte.
    Wir trafen uns regelmäßig. Damals fand Angelas Unterricht in London statt, und ich war bei jeder ihrer Aufführungen dabei. Manchmal sind wir auch zusammen zu Kunstausstellungen oder

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