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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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tiefe Schweigen zwischen uns, die Kluft, die zwischen uns entstanden ist. Ich bete, dass ich genug Mut habe, sie zu überwinden, ehe es zu spät ist. Und bleibe, trotz allem, Dein Dich liebender Vater Edward.
    Jeremys Stimme verstummte. Wir saßen beide eine ganze Zeit lang schweigend da.
    Mein Vater hatte den Tod von Angela, seinem schönen Engel, mit verursacht. Ich erinnerte mich an den Engel im Schaufenster, der jetzt nur noch ein Haufen Scherben und verbogenes Blei war. Er war zu ihrer Erinnerung entstanden, zur Erinnerung an meine Mutter. Plötzlich war ich mir ganz sicher. Jeder tötet, was er liebt. Von wem stammte das noch? Oscar Wilde? Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich.
    »Wussten Sie alles, was er geschrieben hat, Jeremy?«, fragte ich.
    »Ja, er hat mir das meiste erzählt«, antwortete er.
    »Glauben Sie seine Version der Ereignisse? Dass er Schuld hatte, meine ich?«
    »Wichtig ist, dass er selber sich noch immer für schuldig hielt, auch nach all den Jahren. Natürlich hat der Gerichtsmediziner die Sache anders gesehen. Eine Frau ist achtlos auf die Straße gelaufen und von einem Auto erfasst worden, an dessen Steuer ein Betrunkener saß, der offensichtlich zu schnell gefahren ist. Wenn man es so sieht, trifft Ihren Vater keine Schuld. Der Autofahrer hat angeblich eins seiner drei Jahre Haftstrafe im Gefängnis verbüßt. Ihr Vater hat sein restliches Leben in der Hölle verbüßt. Es hat die Beziehung zur Familie Ihrer Mutter zerstört. Er konnte es nicht ertragen, sie leiden zu sehen, und am Ende war es für ihn am einfachsten, sie gar nicht mehr zu sehen.«
    Auch ich hatte die Familie verloren. Ich erinnerte mich an meinen Streit mit Dad, weil er mir nichts vom Tod meiner Großmutter erzählt hatte. Ich hatte keinerlei Erinnerung an die Eltern meiner Eltern.
    Nachdenklich ließ ich die Finger über den verblichenen Chintz der Sessellehne gleiten und zupfte an einem losen Faden.
    »Was haben Sie ihm gesagt?«, fragte ich. Ich wusste nicht, was ich fühlen sollte. War ich wütend auf meinen Vater? Oder tat er mir leid? Mein Leben war beeinflusst von den Ereignissen jener Nacht, dennoch fühlte ich mich emotional unbeteiligt. Mein Vater hatte die Schuld auf sich genommen. Er hatte genug gebüßt. Jetzt war er ein alter Mann, der im Koma lag. Und bereit war für die Erlösung.
    »Ich habe ihm viele Fragen über diese Version der Ereignisse gestellt«, fuhr Jeremy fort. »Es war wichtig, dass er das alles für sich selbst hingekriegt hat – das finde ich grundsätzlich. Er schien erleichtert zu sein, dass er sich jemandem anvertraut hatte. Man sagt nicht umsonst, dass man sich etwas von der Seele redet. Denn es kann sich anfühlen, als würde einen etwas gigantisch Schweres belasten, und dann ist es einem plötzlich von der Seele genommen, und man ist endlich befreit.
    Schließlich begriff er, dass die Situation viel komplexer war, als er sie gesehen hat, dass auch Ihre Mutter ein Teil der Schuld trifft. Es half natürlich nicht, dass er kurz nach ihrem Tod einen Brief von Angelas Liebhaber bekam, einem Mann, der trauerte und der Ihrem Vater jegliche Schuld zuschieben wollte. Er erklärte darin, wie die Beziehung zu Ende gegangen war. Dass er verlangt habe, dass sie ihren Mann und ihr Kind verlassen und zu ihm kommen solle und dass sie sich geweigert habe. Der Mann unterstellte, Angela hätte zu viel Angst vor Ihrem Vater gehabt, um ihn zu verlassen. In seinem Brief hat er alles verdreht und Edward zu einem Unmenschen gemacht. Leider hat Edward sich davon beeindrucken lassen und geglaubt, dass alle diese Anschuldigungen nur die gerechte Strafe für ihn seien.«
    »Aber er war kein Unmensch, oder? Nach allem, was Sie erzählt haben, habe ich nicht das Gefühl, dass er das verdient hat.«
    »Schauen Sie in Ihr Herz, Fran«, sagte Jeremy leise. »Was glauben Sie, was Ihr Vater für ein Mensch war?«
    Ich brauchte nicht lange, um eine Antwort zu finden. »Einer wie die meisten von uns. Also im Grunde ein guter Mensch.« Dad war nie einfach gewesen. Manchmal launisch. Er war einer, der nur schwer verzeihen konnte und der Angst hatte, man könne auch ihm nicht verzeihen. Ich dachte daran, wie zärtlich er sein konnte; aber ebenso gut konnte er ungerecht sein, streng, ja böse. Aber ein Unmensch? Niemals.
    »Das sehe ich auch so«, bestätigte Jeremy. »Ich bin mir sogar ganz sicher. Und ich bin mir auch sicher, dass er auf einem guten Weg war, dies alles zu begreifen. Aber er befand sich erst am

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