Der Zauber des Engels
zukam. Die Frau war inzwischen von ihrer Krankheit genesen und so streng wie eh und je. Ergeben ertrug Laura Miss Badcoes Klagen über einen Nachbarn im Armenhaus, der ihre empfindliche Seele mit ungeschickten Freundschaftsbekundungen beleidigt hatte. Dabei schaute sie ein- oder zweimal kurz zu Philip hinüber, und ihre Blicke trafen sich. Als er sie das zweite Mal anschaute, schien er näher gekommen zu sein. Sie zwang sich, seinem Blick standzuhalten, und lächelte.
»Miss Brownlow?« Wieder beanspruchte Miss Badcoe ihre Aufmerksamkeit. »Sie sehen ein wenig spitz aus, meine Liebe. Vielleicht tragen Sie die falsche Farbe.« Die Frau war wirklich unglaublich.
»Miss Badcoe, ich versichere Ihnen, es geht mir gut. Viele Menschen finden, dass mir dieser Goldton perfekt steht. Wir können nicht alle Schwarz tragen.«
»Aber Miss Brownlow. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.«
Laura nickte. »Schon gut. Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl in Ihrem neuen Zuhause und freunden sich mit den Nachbarn an. Guten Tag.« Und noch ehe Miss Badcoe Luft holen konnte, war Laura weg.
Philip arbeitete sich immer näher in Lauras Richtung vor, bis sie sich schließlich gegenüberstanden. Erst jetzt sah sie die Spuren der Trauer, die sich in sein Gesicht gegraben hatten, die dunklen Schatten unter seinen Augen; die tiefen Falten. Er nahm ihre Hand und hielt sie eine Weile fest.
»Miss Brownlow«, sagte er. »Laura. Endlich. Wie geht es Ihnen?« Seine Augen erforschten ihr Gesicht, intensiver als je zuvor, so schien es ihr. Es war fast so, als versuchte er, in ihr Herz zu schauen.
»Mr. Russell, was für ein wunderbares Fest.« Lauras Mutter war plötzlich an ihrer Seite erschienen. Philip ließ Lauras Hand los, der Bann war gebrochen. »Wir sind sehr glücklich über unser neues Fenster. Es bedeutet uns so viel.« Während sie sprach, nahm Lauras Mutter besitzergreifend den Arm ihrer Tochter.
»In der Tat«, murmelte Laura. Sie wusste, dass ihre Mutter sie nur schützen wollte. Wie dumm von ihr, immer noch mit Philip sprechen zu wollen. Jetzt würden sie nie wieder allein zusammen sein. Er würde seiner Wege ziehen, und ihre Pfade würden sich nicht mehr kreuzen. Vielleicht würde sie ihn mal auf der anderen Platzseite sehen, wenn er Minster Glass besuchte. Das würde alles sein.
Ihre Mutter erkundigte sich nach dem Gesundheitszustand seines Vaters. Sie sah in letzter Zeit ein wenig glücklicher aus, fand Laura. Die Unruhe in der Gemeinde hatte sich gelegt. Vor wenigen Wochen war der Bischof gekommen, um die Kirche neu zu weihen und für die Einheit und Geschlossenheit der Pfarrgemeinschaft zu beten. Ganz allmählich verlief das Leben wieder in seinen gewöhnlichen Bahnen.
Auch die Stimmung ihres Vaters hatte sich deutlich gebessert, nachdem ein Schreiben ihres Bruders Tom angekommen war. In New York hatte er Arbeit als Lehrer gefunden. Er lebte in einer der ärmeren Gegenden der Stadt und verdiente nicht viel, glaubte aber fest daran, dass er zum Wohle seiner Mitmenschen beitrug. Er habe sich kürzlich verlobt, schrieb er, mit der Tochter eines Kollegen, und bat seine Eltern um ihren Segen. Lauras Vater sorgte sofort dafür, dass ihm Geld überwiesen wurde, und brachte sein Bedauern darüber zum Ausdruck, dass sie nicht zur Hochzeit kommen konnten.
»Wir haben allen Anlass, Gott dankbar zu sein«, sagte ihre Mutter zu Philip. »Meinem Sohn Tom geht es gut in Amerika, unser kleiner Enkel Arthur ist ein goldiges Kind, und wir können Weihnachten auf ein zweites glückliches Ereignis hoffen. Nicht wahr, Laura?« Sie richtete den Blick auf ihre Tochter. »Sie kennen doch sicher Anthony Bond, den Kirchenvorstand meines Mannes?«
»Mama.« Laura atmete tief durch. Ihre bevorstehende Verlobung war nun wirklich Privatangelegenheit.
Philip, der von Mrs. Brownlows triumphierendem Gesicht in Lauras verlegenes sah, benötigte keine weitere Erklärung. »Ich freue mich, mehr zu erfahren.« Ein kurzes eisiges Schweigen folgte, und Laura wäre am liebsten im Erdboden versunken. Dann zog ihre Mutter sie fort.
»Komm, Laura, wir müssen uns dringend um Cousine Clarice kümmern. Sie kennt kaum jemanden hier und ist inzwischen stocktaub, die Ärmste. Sicher fühlt sie sich sehr einsam. Auf Wiedersehen, Mr. Russell.«
»Auf Wiedersehen«, flüsterte Laura. Philip sah sie seltsam an – so als hätte er vergessen, ihr etwas Wichtiges zu sagen.
Am nächsten Tag erhielt sie einen Brief von ihm.
Liebe Laura, schrieb er, es ist nicht gut. Ich
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