Der Zauber des Engels
reinzutragen«, sagte Amber. Ich sah zu, wie sie im Café verschwand. Wie selbstbewusst sie in der letzten Zeit geworden war. Es war nun Anfang Februar, und sie hatte einige Fortbildungskurse an einem nahe gelegenen College besucht und eine Menge Zeit in ihr ganz persönliches Projekt investiert, in diesen Engel. Ihre Beziehung zu Larry war noch zart und scheu, aber sie waren glücklich zusammen. Larry hatte vor Kurzem eine Ausbildung im Hotelmanagement begonnen. Was wohl Mrs. Finnegan in Kerry dazu sagen würde, dass ihr geliebter jüngster Sohn sich eine Halbägypterin ausgesucht hatte? Ich hoffte, dass Ambers natürlicher Charme und ihre Liebe zu Engeln alles gut werden lassen würde.
Ich warf noch einen letzten Blick ins Schaufenster. Dann ging ich zurück in den Laden, um Larry zu helfen.
»Hier drinnen wird es sicherlich gleich eng«, sagte ich, während er Gläser polierte. »Aber notfalls können wir ja in die Werkstatt ausweichen.«
Larry nickte. »Oder nach draußen. Wir haben riesiges Glück mit dem Wetter.«
Er hatte recht. Es war ein wunderbarer, ungewöhnlich warmer Samstag. Als ich am Morgen draußen gewesen war, hatte zwar noch leichter Frost auf den Bäumen und auf der Wiese im Park gelegen, aber der war inzwischen verflogen. Und jetzt schien die Sonne von einem strahlend blauen Himmel herab.
Die Party zur Wiedereröffnung von Minster Glass war auch Ambers Idee gewesen. Die Handwerker hatten in den letzten fünf Wochen unglaublich hart gearbeitet, Kabel neu verlegt, die Dielen restauriert, tapeziert und gestrichen. Der muffige Brandgeruch war dem Geruch von frischer Farbe gewichen. Die Regale waren vollgepackt mit neuem Glas, an der Decke hingen bunte Lampenschirme, an den Wänden Spiegel und Bilderrahmen aus Glas. Wie Ambers Engel war alles so restauriert worden, dass es aussah wie früher, aber trotzdem komplett neu war. Damit konnte ich gut leben.
Ich war rundum zufrieden. Vor allem die neue Beleuchtung gefiel mir, und ich hoffte, dass sich Zac, wenn er nach Hause kam, über die Werkstatt mit den großen Regalen, den praktischen Arbeitstischen und den vielen neuen Geräten freute. Falls er nach Hause kommt, dachte ich traurig.
Neujahr hatte er angerufen und mir gesagt, dass er beschlossen hätte, noch ein wenig durchs Land zu reisen. »Es wäre verrückt, das nicht zu tun, wo ich einmal hier bin«, hatte er gesagt. Ich war zwar enttäuscht gewesen, hatte aber versucht, mir nichts anmerken zu lassen. Seine Stimme hatte irgendwie anders geklungen als sonst, unbeschwerter. Er habe Olivia zwischen den Feiertagen noch ein paarmal gesehen, erzählte er mir, und habe dann spontan einen Flug nach Sydney gebucht.
Eine Woche später war eine Postkarte mit der Hafenansicht angekommen. An der Stelle, an der sich sein Hotel befand, hatte er ein kleines Kreuzchen eingezeichnet. Eine Woche danach lag ein Foto von Ayers Rock bei Quentins auf der Fußmatte. Und letzte Woche schließlich eine Karte mit bunten Fischen – offenbar war er inzwischen am Barrier Reef angekommen. Auf die Rückseite hatte er geschrieben:
Du glaubst gar nicht, was für erstaunliche Dinge ich gesehen habe. Die Landschaft ist spektakulär, das Blau des Meers wie Licht, das durch opaleszierendes Glas fällt. Bis bald, Zac.
Ich stellte die Karte zu den anderen ins Bücherregal, nahm sie dann noch einmal in die Hand und las sie. Von Rückkehr war keine Rede. Er hatte seit einigen Wochen nicht mehr angerufen, nur einmal eine Nachricht hinterlassen, als keiner zu Hause gewesen war. Darin sagte er etwas davon, dass er noch lebe und sich bald wieder melden würde. Das hatte er aber nicht getan. Und ich hatte keine Adresse von ihm, bloß die von den Freunden der Quentins in Melbourne. Am Ende war ich das Warten leid und schrieb ihnen einen Brief, dem ich einen Umschlag für Zac beilegte. Das Schreiben an ihn hielt ich betont locker und unverbindlich, in der Hoffnung, dass er nicht merkte, wie sehr ich litt. Ich erinnerte Zac daran, wie schön London im blassen Januarlicht war, berichtete ihm, dass man mir angeboten hatte, bei einem Musikfestival nächsten Monat in Birmingham das Vaughan-Williams-Tuba-Konzert zu spielen, und richtete ihm Grüße von David aus. Außerdem schrieb ich ihm, dass der Laden fast fertig und unsere Auftragsbücher gut gefüllt seien. Ihn zu bitten, bald nach Hause zu kommen, erschien mir als nicht fair. Er brauchte seine Freiheit. Aber ich hoffte, dass die Erinnerung an das Leben hier ihn dazu bewegen würde, bald
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