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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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entfernen.«
    »Das höre ich gern«, antwortete der Pfarrer erleichtert.
    Nachdem Zac sich ein paar Notizen gemacht hatte, schoben die Männer den Altar zurück an seinen alten Platz.
    »Die anderen Fenster sind hier drüben.« Der Pfarrer öffnete die Tür zu einer kleinen Seitenkapelle auf der Südseite des Mittelschiffs. »Das ist die Marienkapelle; wie der Name schon sagt, ist sie der Heiligen Jungfrau Maria geweiht«, erklärte er und verbeugte sich kurz vor dem schlichten Messingkreuz über dem Altar. Daneben befand sich eine Marienstatue aus Holz. Sie war stark beschädigt, quer über ihren Nacken verlief ein tiefer Riss.
    Wir schauten zu den beiden bemalten Fenstern hinauf; das an der Südseite in düsteren Gelb- und Brauntönen nahm ich kaum wahr. Aber das andere, über dem Altar, war so wunderschön, so klar und leuchtend, dass es mir den Atem raubte.
    Mit offenem Mund starrte ich es an, und die Welt um mich herum schien stillzustehen.
    Es war die schönste Darstellung einer Jungfrau mit Kind auf Glas, die ich je gesehen hatte. Das Kind saß bei seiner Mutter auf dem Schoß und hatte ihr die speckigen Ärmchen um den Hals geschlungen. Aber es war beileibe keines dieser grob gezeichneten Kinderbilder, die darauf schließen ließen, dass der Künstler noch nie ein Kind gesehen hatte. Im Gegenteil. Maria hielt es zärtlich, beschützend; Mutter und Kind blickten sich verzückt in die Augen, und ihre Gesichter strahlten eine heitere Gelassenheit aus. Es war bewegend, beinahe ergreifend. Der Anblick ihres Kindes hielt sie vollkommen gefangen, fast so, als sei sie einzig dazu geschaffen, es zu lieben und zu ehren. Unwillkürlich dachte ich an die Maria vom Kreuzigungsfenster. Ihr Sohn – ein erwachsener Mann, und trotzdem ihr Kind, für das sie alles hergeben würde – wurde ihr entrissen, vor ihren Augen erniedrigt und brutal getötet. Der Kontrast war ungeheuer. Aber das Bild regte noch mehr in mir an: die schmerzliche Sehnsucht nach meiner eigenen Mutter.
    »Alles in Ordnung, Fran?« Vorsichtig berührte Zac mich an der Schulter.
    Ich drehte mich um, sah, dass beide Männer mich irritiert anschauten. »Es ist wunderschön, nicht wahr?«, flüsterte ich schließlich.
    »Das ist es«, bestätigte Reverend Quentin, »eine Schande, dass …«, fuhr er fort, und ich versuchte, mich auf die Details der technischen Herstellung des Fensters zu konzentrieren. Der Pfarrer zeigte auf die Gewänder, in die Maria sich gehüllt hatte – es sah aus, als würde sich auf der anderen Seite der Scheibe so etwas wie Schimmel über das üppige Blütenmuster verbreiten.
    »Ich frage mich, ob wir versuchen sollten, das zu stoppen.«
    »Auf jeden Fall«, bekräftigte Zac. »Sehr merkwürdig. Ich muss es mir näher ansehen, von draußen, gleich wenn wir hier fertig sind.« Diesmal konnte er den größten Teil des Fensters von den unteren Sprossen der Leiter aus betrachten.
    Während er die Lupe zur Seite legte, um sich Notizen zu machen, betrachtete ich das zweite Fenster.
    Mein erster Eindruck hatte mich nicht getäuscht. Künstlerisch war es nur Mittelmaß, ein Fenster zum Gedenken an den Zweiten Weltkrieg in düsteren Braun- und Ockertönen. Eine pathetische Britannia hielt eine zerschlissene Regimentsfahne in der Hand. »Den tapferen Helden aus unserer Mitte, die im Kampf für ihr Vaterland ihr Leben geopfert haben. 1939–1945« stand in gotischen Lettern darunter. Vermutlich hatte es den trauernden Familien auf irgendeine Weise Genugtuung verschafft, ohne sie aber wirklich berührt zu haben.
    »Über dieses Fenster wollte ich gern mit Ihrem Vater sprechen«, sagte Reverend Quentin, der neben mich getreten war.
    »Ach.« Ich war enttäuscht. Deshalb die ganze Aufregung? Wegen dieses kitschigen alten Kriegerdenkmals?
    »Oder besser gesagt«, korrigierte er sich, »über das Fenster, das sich vorher an dieser Stelle befunden hat.«
    »Hier war früher ein anderes Fenster?«, fragte ich erstaunt.
    Der Reverend nickte. »Das denkt zumindest Ihr Vater. Und ich glaube, er hat recht. Sehen Sie nur.« Er kniete sich vor den Altar, hob das weiße Tuch hoch und zerrte einen großen zerbeulten Pappkarton hervor, der grau vor Ruß und Schmutz war. Ich griff eine Ecke, half ihm, den Karton hervorzuzerren und fragte mich, was um alles in der Welt sich darin befinden mochte.
    »Der Ingenieur, der bei uns war«, keuchte der Pfarrer, »hat uns gebeten, nebenan unter der Treppe im Pfarrsaal alles wegzuräumen, weil er sich eine feuchte Stelle

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