Der Zauber des Engels
Rossini-Ouvertüre, ich glaube La gazza ladra . Zum Schluss noch irgendwas von Mozart.«
»Oh ja, ich mag Berlioz sehr. Und die Diebische Elster ebenfalls«, antwortete ich, aber das hätte ich auch gesagt, wenn es nicht so gewesen wäre. »Ich komme gerne mit.«
»Prima. Das Konzert beginnt um halb acht. Vorher habe ich noch eine Kirchenchorprobe, aber die ist meist gegen sieben zu Ende. Am besten, du kommst zur Kirche, dann gehen wir zusammen.«
Als ich mich fürs Bett fertig machte, dachte ich noch einmal über Bens Einladung nach. Es schien mir ein gutes Zeichen zu sein, dass ich in der letzten Woche kaum an Nick gedacht hatte, aber eine kleine Stimme in mir warnte mich, vorsichtig zu sein und mich nicht Hals über Kopf in eine neue Beziehung zu stürzen. Trotzdem freute ich mich auf das Konzert. Ich schüttelte mein Kissen auf und nahm Lauras Tagebuch zur Hand. Wie schnell ich mich an mein neues Leben in London gewöhnt habe, dachte ich und war mir doch bewusst, dass meine Unsicherheiten und Zukunftsängste unter der Oberfläche weiterschwelten.
14. KAPITEL
Engel sind Geister … Sie werden zu Engeln, indem sie gesandt werden, denn der Name Engel bezieht sich auf ihre Aufgabe: Bote zu sein.
Augustinus, Stadt Gottes
LAURAS GESCHICHTE
Gewöhnlich erwartete der Pfarrer von seiner Familie nicht, dass sie ihn zum Morgengebet begleitete. Schließlich wurde zu Hause um neun Uhr das Familiengebet gesprochen. Aber am Morgen nach Mr. Russells Besuch frühstückte Laura mit ihrem Vater und ging mit ihm zur Kirche. Sie gab Polly strikte Anweisung, Mrs. Brownlow erst dann das Frühstück ins Zimmer zu bringen, wenn sie von allein erwachte, und sie zu überreden, im Bett zu bleiben und sich auszuruhen. Da der Kopfschmerz ihrer Mutter gestern Abend überaus stark gewesen war, konnte Laura sich nicht vorstellen, dass dies großer Überredungskunst bedurfte.
Mr. Perkins, der Kirchendiener, empfing sie bereits an der Kirchentür. Er bebte vor Empörung. »Dieses Gesindel, Reverend«, schimpfte er. »Niemand hat mehr Respekt vor dem Haus Gottes.«
»Was ist denn passiert?«, fragte Mr. Brownlow. »Jetzt beruhigen Sie sich doch.«
Schließlich beruhigte Perkins sich tatsächlich so weit, um erklären zu können, dass er vor wenigen Minuten gekommen war und festgestellt hatte, dass in der Nacht einige Scheiben im Nordfenster zertrümmert worden waren.
Erschrocken folgten Laura und ihr Vater ihm ins Innere der Kirche. Vorsichtig traten sie über die Glasscherben am Boden, um den Schaden zu begutachten.
»Sie sind aber nicht hier drin gewesen, oder, Mr. Perkins? Wurde etwas gestohlen?« Der Kirchendiener schüttelte den Kopf.
»Die Tür war wie üblich verschlossen, Herr Pfarrer, und durch das kleine Loch konnten sie unmöglich reinkommen.«
»Wahrscheinlich nicht.« James Brownlow seufzte und überlegte einen Moment. »Wir werden den Constable erst nach dem Gebet benachrichtigen«, erklärte er schließlich. »Ich werde es nicht zulassen, dass wegen solcher Vandalen unser täglicher Gottesdienst beeinträchtigt wird. Zünden Sie bitte die Kerzen in der Marienkapelle an, Mr. Perkins. Dort stören uns wenigstens keine Glassplitter.« Damit verschwand er in der Sakristei.
Laura wartete allein in der Kapelle und versuchte sich zu beruhigen. Flackerndes Kerzenlicht spiegelte sich auf der frisch bemalten Madonnenfigur auf dem Altar. Draußen hantierte Mr. Perkins, er kehrte Scherben zusammen und beklagte sich lautstark bei jemandem, der gerade hereingekommen war. »Räuber und Diebe!«
Einen Augenblick später betrat Mr. Bond die Kapelle. Als er Laura sah, blieb er verlegen stehen und zog sich mit einer gestammelten Entschuldigung zurück. Sie rief ihn zurück, ihr Gesicht glühte trotz der kühlen Luft. Unbehaglich saßen sie nebeneinander, ohne ein Wort zu reden. Sein Heiratsantrag stand immer noch unbeantwortet zwischen ihnen.
Man hörte ein paar Menschen näher treten, kurz darauf kamen Mrs. Fotheringtons Cousine Miss Badcoe, die so streng und ernst dreinblickte wie ihre hagere, schwarz gekleidete Gestalt vermuten ließ, Miss Pilkington, die Lehrerin, Mr. Perkins und schließlich Mr. Russell, der außer Atem zu sein schien. Lauras Vater, der sich inzwischen den Talar übergestreift hatte, folgte seiner Herde und schloss die Tür.
»Erhebet die Herzen …«, begann er mit einer Stimme, die für die kleine Kapelle viel zu laut war.
Laura bekam von den Gebeten kaum etwas mit. Sie war viel zu sehr darauf konzentriert,
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