Der Zauber des Engels
irgendwie fühlte ich mich innerlich entspannt. Das änderte sich schlagartig, als das Taxi kam, Ben Ninas Hände nahm, sie vorsichtig hochzog und auf beide Wangen küsste.
»Ciao, Darling«, sagte er.
»Ich gehe jetzt auch besser«, sagte ich, nachdem Michael mir kurz zugenickt hatte.
Nina umarmte mich kurz. Sie roch nach etwas Leichtem, Blumigen. »Es war schön, dich kennenzulernen«, murmelte sie zerstreut, »bist du wirklich sicher, dass ich nicht nervös gewirkt habe?«
»Du warst perfekt«, antwortete ich ernst, und sie lächelte erfreut.
Ben brachte die beiden noch zur Tür, dann kam er zurück. Ich begutachtete gerade meine Schuhe. Sie waren immer noch feucht, aber es blieb mir nichts anderes übrig, als sie wieder anzuziehen.
»Willst du etwa auch schon gehen?«, fragte er.
Wir standen uns gegenüber und schauten uns an. Er war unübersehbar müde, und das verlieh ihm etwas Weiches, Empfindsames. Irgendwann am Abend hatte er sich die Krawatte ausgezogen. Das Hemd war ihm aus der Hose gerutscht. Er sah leicht zerzaust aus, aber irgendwie anziehend. Ich zögerte, kam aber zu dem Schluss, dass er nur höflich sein wollte.
»Der Samstag ist für mich ein normaler Arbeitstag. Ich muss dringend ins Bett.«
Er setzte ein charmant enttäuschtes Gesicht auf, dann zuckte er mit den Schultern und öffnete die Tür.
»Vielen Dank, dass du mich mitgenommen hast«, sagte ich. »Das Konzert hat mir großen Spaß gemacht.«
»Dann sollten wir das unbedingt bald wiederholen. Bist du sicher, dass ich dich nicht nach Hause bringen soll?«
Ich lächelte. »Wenn du willst, kannst du ja einfach von hier aus zusehen, ob ich sicher ankomme.«
»Das mache ich.«
Vor dem Laden drehte ich mich noch einmal um. Er stand in der halbrunden Türöffnung auf der anderen Seite des Platzes, im Schein des Lichts aus der Diele, und sah aus wie eine zum Leben erwachte Engelsfigur in einer Wandnische. Ich winkte ihm zu, und der Engel hob lässig den Daumen.
17. KAPITEL
Seht zu, dass ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel.
Matthäus 18,10
Am Samstagnachmittag beschäftigte Zac sich erneut mit unserem Engel. Selbst für seine Verhältnisse war er den ganzen Tag ungewöhnlich schweigsam gewesen, aber jetzt wirkte er völlig frustriert. Ich fragte mich, ob das nur an den immer noch fehlenden Augen lag.
»Keiner weiß genau, welche Teile in dem Karton waren«, versuchte ich ihn aufzumuntern. »Es wird sie also niemand vermissen.«
»Es reicht, dass wir es wissen, Fran«, antwortete er nur.
»Du hast sicher recht, Zac, aber es lässt sich nun mal nicht ändern. Ist sonst noch was?«
»Nein.« Er warf mir einen finsteren Blick zu und stapfte davon, um sich einer neuen Arbeit zu widmen. Um die schlechte Stimmung nicht noch weiter anzuheizen, zog ich mich in den Laden zurück.
Abgesehen von Zacs düsterer Laune verlief der Samstag ohne besondere Vorkommnisse. Gegen drei schlug ich vor: »Warum machen wir nicht einfach Feierabend? Wir könnten beide ein bisschen Ruhe vertragen.«
Zac schien den Engel einfach nicht vergessen zu können. Ich hatte ihn noch einmal dabei erwischt, wie er den Karton durchsuchte, dabei hatten wir das in den letzten Tagen schon zweimal gemacht und ihn sogar ausgeschüttet, um ja nichts zu übersehen. Danach hatte er versucht, eine Zeichnung anzufertigen, wie der Engel seiner Meinung nach aussehen musste; irgendwann hatte er schließlich aufgegeben und angefangen, Kerzenhalter zu formen, die sich vor Weihnachten immer gut verkauften. Bis zum frühen Nachmittag hatte er ein Dutzend davon fertig, aber als ich ihn das nächste Mal sah, stand er schon wieder nachdenklich über den Engel gebeugt.
Auf meinen Vorschlag hin blickte er auf. »Ich würde gern deinen Vater besuchen«, sagte er. »Oder wolltest du das tun?«
»Wenn du möchtest, können wir gerne zusammen ins Krankenhaus gehen.«
Er schien sich zu freuen. »Einverstanden.«
Das Laub der Bäume am Platz begann sich rot und braun zu färben, und jedes Mal, wenn sich eine Wolke vor die Sonne schob, wurde es empfindlich kühl. Im Schaufenster des Blumengeschäfts in der Horseferry Road standen Büsche aus Dahlien und Chrysanthemen. Sie erinnerten an Herbst und Verfall, dabei waren Chrysanthemen in Wahrheit Symbole für Leben und Glück. Dad hatte sie immer gerngehabt, daher bat ich Zac, kurz zu warten, während ich einen Strauß kaufte.
Als wir im
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