Der Zauber des Engels
mir schwer, die richtigen Worte zu finden. Schließlich waren wir daran gewöhnt, unser Privatleben respektvoll voneinander abzuschirmen.
Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Shona und ich sind uns früher sehr nahe gewesen, aber am Ende hat sie sich immer mehr zurückgezogen. Ich wusste nicht mehr, wie sie tickt, sie hatte sich völlig verändert.« Er saß da, vollkommen in seine Gedanken versunken, und schien ganz weit weg zu sein. Ich aß ein Stück von dem Hefegebäck, das Zac bisher nicht angerührt hatte. Schließlich sagte er: »Ich habe es deinem Dad vorhin erzählt. Das mit der Karte. Ich weiß, dass das blöd klingt.«
»Nein, nein, gar nicht.« Es rührte mich, dann dämmerte es mir. »Kannte Dad die Geschichte mit Olivia?«
»Ja. Er hat mir damals sehr geholfen. Nachdem Shona mit Olivia nach Australien verschwunden war, war ich völlig verzweifelt. Ich wusste nicht wohin, und ich hatte keinen Job. Dein Dad hat mich gerettet, Fran.«
Vor zwölf Jahren also. Damals war ich gerade aufs College gekommen. Ich erinnerte mich daran, wie ich Dad einmal besucht und erschrocken festgestellt hatte, dass er einen Zettel an die Ladentür gehängt hatte, weil er einen Mitarbeiter suchte. Als ich das nächste Mal zu Besuch kam, war nicht Dad, sondern nur dieser stille junge Mann im Geschäft gewesen.
»Ich erinnere mich noch gut, wie ich dich zum ersten Mal gesehen habe«, sagte ich. »Du hast damals kaum ein Wort mit mir gewechselt.«
»Hm.« Er lächelte. »Du wirktest ja selbst wie ein verängstigtes Kaninchen.«
»Stimmt gar nicht.«
»Stimmt doch.«
In Wahrheit war ich vermutlich nur nervös gewesen, weil ich Zac als unfreundlich, ja sogar als ruppig empfunden hatte. Und ich war sauer gewesen, als Dad mir erklärt hatte, er wohne im Gästezimmer.
»Das lag nur daran, dass ich so überrascht war. Dad hatte dich ja sogar bei uns wohnen lassen. Das war für mich einfach merkwürdig, schließlich waren wir so lange zu zweit gewesen. Ja, ich weiß, ich war ausgezogen, aber es hat eine Weile gebraucht, bis ich mich daran gewöhnt hatte.«
»Ich habe nicht lange bei ihm übernachtet. Komisch, ich dachte schon, dass ich damals ein bisschen war wie Amber. Heimatlos. Als ich deinem Dad erzählt habe, was passiert war, sagte er, ich könne bei ihm wohnen, bis ich mich ein bisschen gefangen hätte. Das habe ich dann auch getan.«
»Wo hast du denn vorher gewohnt?«
»Das ist eine lange Geschichte. Und dafür ist das hier nicht der richtige Ort.«
Ich sah mich um. Es wurde immer voller im Café. Die jungen Schwestern waren fort, dafür saß nun ein mittelaltes Paar an ihrem Tisch. Leute mit Tabletts liefen umher und hielten Ausschau nach einem freien Tisch. Eine müde aussehende Frau mit einer Horde dunkeläugiger Kinder zeigte auf einen der freien Stühle bei uns und fragte: »Ist der noch frei?«
»Natürlich.« Wir stellten unser Geschirr zusammen, um ihr Platz zu machen. Dann nahm Zac sein Buch und sah mich an. »Gehen wir?«
Als wir draußen waren, fragte er: »Hast du was vor? Wir könnten ein bisschen an der Themse entlangspazieren und irgendwo was trinken gehen.«
»Gute Idee.« Ich hatte an diesem Abend nichts vor und wollte unbedingt mehr über Zacs Geschichte erfahren.
Es war noch früh und überraschend sonnig, auch wenn vom Fluss eine kühle Brise heraufwehte. An der Bar des National Film Theatre besorgten wir uns ein paar Dosen Bier, setzten uns ans Fenster und schauten den Seglern auf dem Fluss zu. Am Ufer stand ein junger Jongleur und machte ein paar müde Kunststücke.
»Das könnte ja sogar ich besser«, meinte Zac und trank einen Schluck. Ich lächelte. Er kramte seine Brieftasche hervor, zog etwas heraus und gab es mir. Es war das verblichene Farbfoto eines blonden Babys mit einem Sonnenhütchen.
»Olivia?«, fragte ich. Er nickte, und ich sah Stolz in seinem Gesicht aufblitzen. Es war ein hübsches Baby, das über das ganze Gesicht lächelte.
»Sie ist wirklich süß, Zac«, sagte ich und meinte es auch so.
»Es war ihr erster Geburtstag. Shona hat es mir aus Australien geschickt. Danach habe ich nie wieder von ihr gehört.«
Ich gab ihm das Foto zurück und sah zu, wie er es sorgsam in seine Brieftasche zurücksteckte.
»Du und Shona«, begann ich zögernd und hoffte, dass ich ihm nicht zu nahe trat, »wart ihr verheiratet?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Obwohl ich sie mal gefragt habe.«
»Ist sie Australierin? Habt ihr euch dort kennengelernt?«
Er lachte. »Ich
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