Der Zauber des Engels
Mutter außer sich, änderte die Vorhänge und ließ die Möbel für das nächste Haus ausmessen, beklagte sich über den Zustand der Räume, das Niveau der Nachbarschaft und die Schwierigkeiten, eine neue Köchin zu finden. Als ich acht wurde, kam ich in ein Internat und entging so den Turbulenzen der vielen Umzüge. Aber es blieb die Erfahrung, nirgends ein Zuhause zu haben.« Auch er entstammte einer Familie mit fünf Kindern, war jedoch der einzige Sohn. »Meine Eltern sind äußerst bestürzt über meine Berufswahl, und erst recht über die Wahl meiner Ehefrau.«
»Was ist denn der Grund ihrer Einwände?«
»Sie ist ihnen zu exotisch, zu fremd. Ihre Mutter ist Italienerin, und obwohl Marie in der Kirche von England erzogen wurde, hätte man glauben können, sie wäre der Papst höchstpersönlich, so sprach mein Vater über sie.«
Laura spürte seinen Ärger und seine Verbitterung. Trotz des Schmerzes, den sie ihm bereitet hatte, sprach er noch immer voller Respekt über seine Frau. Maries Vater sei ein wohlhabender Schiffsmagnat gewesen, erzählte er, und sie habe die leidenschaftliche, wankelmütige Art ihrer Mutter geerbt.
»Manchmal denke ich, sie kann nicht anders«, sagte er traurig. »Sie hat etwas, das auf Männer anziehend wirkt.«
Nach dieser Verabredung wartete Laura auf einen weiteren Brief von Mr. Russell. Er kam bereits am nächsten Tag; darin bot er ihr noch einmal an, ihre Geschichten zu lesen. Sie packte die Papiere zusammen und schickte sie ihm, mit einem stummen Gebet, dass sie ihm gefallen mögen. Das taten sie. Einige Tage später schrieb er ihr erneut und fragte, ob er sie seinem Freund, dem Verleger, zeigen dürfe. »Es könnte allerdings etwas dauern«, warnte er sie. »Mein Freund ist immer sehr beschäftigt.« Laura freute sich, aber noch mehr freute sie sich über seinen Vorschlag, sich in zwei Tagen noch einmal zu einem Spaziergang zu verabreden.
Bei dieser Gelegenheit trafen sie auf der Straße zwei Frauen aus der Kirche, die Laura grüßten und Mr. Russell höchst neugierige Blicke zuwarfen. Während des gesamten Spaziergangs befürchtete Laura, dass sie unter strenger Beobachtung standen. Als sie sich am Greycoat Square verabschiedeten, war Laura sicher, Mr. Bond hinter sich die Straße überqueren zu sehen. Sie eilte rasch ins Haus, um eine Begegnung mit ihm zu vermeiden.
Nicht dass es ein Vergehen wäre, mit Mr. Russell spazieren zu gehen, redete sie sich selbst zu, während sie rasch nach oben lief, um sich ihr lehmbeschmutztes Kleid auszuziehen. Es war schließlich kein Skandal, sich in der Öffentlichkeit mit einem verheirateten vierzigjährigen Mann zu unterhalten, der der Familie bekannt war. Trotzdem zweifelte sie daran, dass ihre Eltern die Angelegenheit ebenso beurteilen würden. Aber er war ein Freund, und nur ein Freund, auch wenn sie eine Wärme zwischen sich und ihm verspürte, eine wachsende Nähe, die sie gleichermaßen erfreute und verwirrte.
Während sie sich die Haare kämmte, überlegte sie, dass sie ihm half, indem sie ihm zuhörte, wenn er von Marie sprach, und ihm Trost spendete. Im Gegenzug öffnete sie sich ihm zunehmend, vertraute ihm ihre Trauer um Caroline an, etwas, worüber ihre Eltern nur selten sprachen. Mr. Russell hörte stets aufmerksam zu, und dabei wurde ihr bewusst, wie sehr ihr gute Freundinnen fehlten, vor allem seit Harriet ganz mit ihrer Mutterrolle beschäftigt war. Sie betrachtete ihr erhitztes Gesicht im Spiegel und musste sich eingestehen, dass sie sich schon jetzt danach sehnte, ihn bald wiederzusehen.
Nachdem Mr. Russell einen neuen Entwurf für eine Jungfrau mit dem Kind gezeichnet hatte, kam die Arbeit an den Fenstern vorübergehend zum Stillstand. Mr. Brownlow gefielen die Änderungen, aber Mr. Jefferies begab sich wegen einer Geschäftsreise ins Ausland, ehe er sie ansehen konnte. Als er zurückkehrte, war Mr. Russell unterwegs. Er und Laura hatten vereinbart, sich eines Nachmittags wiederzusehen, doch am Morgen erreichte sie eine hastig geschriebene Nachricht von ihm.
Ich habe schlechte Nachrichten von Zuhause, lautete sie, und ich fürchte, ich muss unsere Verabredung absagen. Mein Vater ist ernstlich erkrankt, und ich werde sofort nach Manchester aufbrechen.
Laura war enttäuscht und musste sich zwingen, für Mr. Russell senior zu beten.
Der Ton seiner nächsten Botschaft fünf Tage später war zornig.
Meine Reise war nicht erfreulich. Mein Vater hat sich glücklicherweise von seinem Anfall erholt. Dass seine
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