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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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Stimme fügte er hinzu: »Das mit Freitagabend tut mir übrigens leid.«
    »Was meinst du damit?«
    »Es muss sehr ermüdend für dich gewesen sein, dir Geschichten über Leute anzuhören, die du gar nicht kennst. Nina hat sich inzwischen an uns gewöhnt, aber …«
    »Nein, das war gar kein Problem, wirklich nicht. Aber es ist nett, dass du das sagst.« Ich war echt gerührt.
    »Gut.« Er schwieg einen Moment, und ich überlegte, ob es noch einen anderen Grund für seinen Anruf geben könnte, doch dann fuhr er fort: »Ich muss jetzt los. In zwanzig Minuten fängt die Pfarrgemeinderatssitzung an. Bis morgen also. Vielleicht können wir dann noch mal was ausmachen.«
    »Ja, das ist eine gute Idee.« Ich legte auf und wusste nicht, ob ich glücklich oder genervt sein sollte; ob ich mich über seinen Anruf freute oder nicht. Er war attraktiv, keine Frage. Wir teilten das Interesse an Musik, und ich hatte das Gefühl, dass es zwischen uns knisterte.
    Wenn ich heute zurückblicke, wird mir klar, dass ich sehr schnell über Nick hinweggekommen war. Unsere Beziehung war nicht besonders innig gewesen. Aber unsere Trennung und meine Angst um Dad hatten mich unvorsichtig gemacht.
    An diesem Abend konnte ich mich auf nichts mehr konzentrieren. Ich versuchte, ein paar Passagen aus Gerontius auf dem alten Klavier zu spielen, aber es war völlig verstimmt. Dann betrachtete ich meine Tuba, die in der Ecke stand, aber irgendwie hatte ich keine Lust, sie herauszunehmen. In der Wohnung sah es trist und einsam aus, mit den verschlissenen Möbeln und der Leere, die überall herrschte. Es war, als würden sich Erinnerungsfetzen aus meiner Kindheit ausbreiten. Am Ende trottete ich frustriert auf den Dachboden. Schon bald stellte sich heraus, dass ich keine bessere Entscheidung hätte treffen können; denn ich war rasch in die restlichen Aktenordner vertieft, die in dem Schrank standen, in dem ich Lauras Tagebuch gefunden hatte.
    Als ich irgendwann auf die Uhr schaute, war es bereits elf. Wieder hatte ich nichts Brauchbares gefunden, obwohl ich sämtliche Dokumente von 1880, 1881 und sogar 1882 durchwühlt hatte, mehrfach sogar, und auf der Suche nach einer Zeichnung des Engelfensters jeden einzelnen Brief rumgedreht und unzählige Entwürfe und Skizzenblätter aufgerollt hatte.
    Ich hatte Zeichnungen von Heiligen und Jüngern entdeckt, von Kreuzigungsszenen und Heiligen Familien, Darstellungen der Auferstehung und der Apokalypse und auch Engel. Ja, ich sah Dutzende von Engeln, in allen Variationen – den Engel des Herrn, der als Personifikation des Herrn selbst galt und Shadrach, Meshach und Abednego aus der babylonischen Gefangenschaft rettete; Botenengel, die Jungfrauen und Schäfer aufsuchten; ganze Chöre von Engeln, die Gott im Himmel lobpreisten – aber meinen Engel fand ich nicht.
    Vorsichtig faltete ich eine zerrissene Skizze für einen Putten-Reigen zusammen und steckte sie wieder an ihren Platz in dem Ordner »Juni 1882«. Bis auf den Brief von Reverend Brownlow schien Lauras Engel aus allen offiziellen Archiven verschwunden zu sein. Jeder Hinweis auf seine Entstehung und Ausführung war verschwunden. Warum?
    Wo konnte ich sonst noch nachschauen? Irgendwo musste es doch eine Abbildung geben. Oder vielleicht … Plötzlich fiel mir das Museum of Stained Glass in Ely ein. Vielleicht konnte mir dort jemand weiterhelfen.
    Ich nahm mir vor, gleich am nächsten Tag im Museum anzurufen, und ging nach unten, um noch ein paar Seiten in Lauras Tagebuch zu lesen.

19. KAPITEL
    Vier Engel an meinem Bett,
Vier Engel an meinem Kopf,
Einer zum Wachen und einer zum Beten,
Und zwei, um meine Seele fortzutragen.
    Thomas Ady, Candle in the Dark
    LAURAS GESCHICHTE
    Der erste Brief von Mr. Russell traf Ende April ein. Polly brachte ihn an den Frühstückstisch. Laura erkannte die seltsam staksige Handschrift auf dem Umschlag sofort, und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Hastig murmelte sie eine Entschuldigung und nahm den Brief mit in ihr Zimmer, wo sie ihn vorsichtig öffnete. Ein unterdrückter Freudenschrei entfuhr ihr. Der Rand des dicken cremefarbenen Papiers war mit lustigen kleinen Engel- und Tier-Zeichnungen verziert.
    Ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass ich mit Ihnen korrespondiere, Miss Brownlow, hatte Mr. Russell geschrieben, aber ich brauche dringend Ihren Rat. Es geht um das alte Problem, zwei Herren gleichzeitig zu dienen, und da Sie im vorliegenden Fall beide Parteien kennen, können Sie sich vielleicht freundlicherweise

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