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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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vorderen Sopran-Reihen richteten sich auf. Sie waren die Eifrigen, angeführt von Val, die das Orchester organisierte. Jo und ich fühlten uns hinten, außerhalb des Schussfelds, bedeutend wohler.
    Ich war etwas erstaunt, dass Jo nicht gekommen war, zumal sie mir nicht abgesagt hatte. Bei Jo wusste man wirklich nie, woran man war.
    Später betrat ich zusammen mit Dominic den Pub.
    »Schade, dass Jo nicht kommen konnte«, sagte er, und es klang so enttäuscht, dass ich mich wieder fragte, wie viel sie ihm wohl bedeuten mochte.
    »Vielleicht kam in ihrem Job was dazwischen«, vermutete ich.
    »Es ist ungewöhnlich, dass sie nicht auftaucht«, antwortete er. »Ich kann heute Abend auch nicht lange bleiben. Ich habe meiner Schwester versprochen, sie noch vor elf abzulösen.«
    Ich sah ihn verständnislos an. »Wobei denn?«
    »Auf meine Mutter aufzupassen«, erklärte er. »Leider ist Mom inzwischen ziemlich hilflos. Wenn der Pfleger geht, teile ich mir mit meiner Schwester die Betreuung. Montags ist normalerweise mein freier Abend, aber heute kann meine Schwester nur bis elf bleiben, weil sie morgen in Urlaub fährt. Deshalb muss ich pünktlich sein.«
    »Das wusste ich nicht«, antwortete ich bewegt. »Es ist sicher eine schwierige Situation.«
    »Ich möchte mich nicht beklagen, Fran, aber ehrlich gesagt stehen wir kurz vor dem Kollaps. Meine Schwester und ihr Mann erwarten ihr erstes Kind, und ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll, wenn es auf der Welt ist. Wir werden wohl nicht darum herumkommen, einen Heimplatz für Mom zu suchen, auch wenn das für uns alle sehr unbefriedigend ist. Ich habe meinen Chef um Urlaub gebeten, um mich um alles kümmern zu können. Leider ist der Zeitpunkt gerade sehr ungünstig, denn ich hatte eigentlich auf eine Beförderung gehofft. Aber was soll ich machen? Sie war uns immer eine wunderbare Mutter, da können wir sie doch jetzt nicht alleinlassen, wo sie uns braucht.«
    Ich schaute zu ihm auf, in Erwartung eines bedrückten Gesichts, aber er lächelte.
    »Vielleicht sollte ich sie im Rollstuhl mit zur Arbeit nehmen«, sagte er. »Sie würde meine Kollegen mal so richtig aufmischen. Denn sie steckt immer noch voller Energie.«
    Offenbar hatte die Frau dafür gesorgt, dass ihre Kinder ein starkes Pflichtgefühl empfanden. Ich kannte nicht viele Männer, die die Chance auf eine Beförderung aufgeben würden, um sich um einen hilfebedürftigen Elternteil zu kümmern.
    »Leider bleibt mir dadurch nicht mehr viel Zeit für andere Dinge«, meinte er schulterzuckend. »Montag ist mein einziger freier Tag. Schade, dass Jo nicht da ist.«
    Inzwischen hatten wir den Pub erreicht. Da Ben noch nicht eingetroffen war, hatten wir uns rasch in ein Gespräch über die Probe vertieft. Von den ungefähr zehn Chormitgliedern, die sich um den Tisch versammelt hatten, hielt die Hälfte die Stimmübungen für eine gute Idee. »Ben hat recht, wir müssen professioneller werden«, meinte Crispin, unser ernster Gerontius. Er war dankbar, dass er bei den Proben den Solopart singen durfte, und verlor nie ein böses Wort über Ben. Aber eine Frau aus dem »Häkelkränzchen« fand es völlig überflüssig. »Ben nimmt das alles viel zu ernst«, schimpfte sie. Dominic verhielt sich diplomatisch; er sagte nicht viel, sondern hörte nur zu.
    Als Ben wenig später gehetzt und außer Atem dazukam, sah ich, dass einige der Beschwerdeführer aufstanden, um sofort eine hitzige Diskussion mit ihm zu beginnen. Irgendwann hob er beschwichtigend die Hände.
    Bei alledem fiel mir auf, dass Michael allein herumstand. Ich ging zu ihm, um Hallo zu sagen.
    »Ich fürchte, einige sind ziemlich unzufrieden«, sagte er und machte eine Kopfbewegung in Richtung der Gruppe um Ben. »Das habe ich ihm ja gleich gesagt.«
    »Das ist sicher nur ein Sturm im Wasserglas«, sprang ich Ben bei. Ich durchschaute die Beziehung zwischen den beiden einfach nicht. Einerseits schienen sie sehr eng verbunden zu sein, wie Brüder fast, andererseits wirkte es auf mich, als würde Michael sich über Bens Probleme geradezu freuen. Vorsicht war geboten.
    »Der Konzertabend war sehr schön«, begann ich, um das Thema zu wechseln. »Ich hoffe, du hast deinen Zug am nächsten Morgen bekommen.«
    »Am Ende bin ich gar nicht gefahren«, gestand er.
    »Oh.«
    »Nina hatte mich gebeten, den Tag mit ihr zu verbringen.«
    »Verstehe«, antwortete ich, dabei verstand ich gar nichts.
    »Es muss alles ziemlich undurchsichtig für dich sein«, meinte er

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