Der Zauber eines fruehen Morgens
Chancen, das Gheluvelt Plateau südöstlich von Ypern zu erreichen. Den Deutschen diesen Abschnitt zu nehmen galt als wichtig, weil die leichte Anhöhe ein guter Beobachtungsposten für Bewegungen im umliegenden Flachland war.
Aber im Lauf des Nachmittags holten die Deutschen zu einem so massiven Gegenschlag aus, dass sich das Britische Expeditionskorps, das die Vorhut bildete, fluchtartig zurückziehen musste. Hinzu kamen starke Wolkenbrüche, die den ohnehin schon aufgeweichten Boden in Matsch verwandelten. Andere Divisionen setzten die Offensive fort, doch der Regen hielt die nächsten drei Tage an. Kommunikationswege wurden unterbrochen, Männer ertranken in Bombentrichtern, Panzer versanken im Schlamm, Pferde und Maultiere blieben stecken. General Haig stellte die Offensive ein.
Insgesamt wurde die Zahl der Gefallenen einschließlich der französischen Soldaten auf ungefähr fünfunddreißigtausend geschätzt,und man ging davon aus, dass die Verluste der Deutschen ähnlich hoch waren.
Die erste Welle der Verwundeten traf am ersten August ein, und seither kamen mit jedem Tag mehr. Belle hatte keine Ahnung, ob Jimmy und Etienne noch am Leben waren, und auch Vera wusste nichts über das Schicksal ihrer Brüder. Sie mussten sich an die Hoffnung klammern, dass keine Nachricht eine gute Nachricht war.
Aber was die Verwundeten über die Zustände bei Ypern erzählten, glich einem Albtraum. Diese Männer hatten noch Glück gehabt, weil es ihnen gelungen war, sich in den überfluteten Bombentrichtern über Wasser zu halten, bis sie von Sanitätern gerettet worden waren. Einige der Schwerverwundeten berichteten, wie sie versucht hatten, Freunde aus dem Schlamm zu ziehen, nur um mitanzusehen, wie sie immer tiefer hineinrutschten und schließlich versanken.
Auch wenn Belle und Vera und die anderen Fahrer weder imstande waren, die Gesamtsituation zu überblicken, noch Haigs Strategie zu durchschauen, schien das Ganze genauso sinnlos zu sein wie die Schlacht an der Somme: ungeheure Verluste, um einige wenige Meter Boden wettzumachen, die später bei einem Gegenangriff der Deutschen wieder verloren gingen.
Auf den Verbandstationen im Feld und in den Lazarettzügen bemühten sich die Krankenschwestern, die Verwundeten vom Schlamm zu reinigen und in die blauen Krankenhauskittel zu stecken, aber dennoch waren viele Männer bei der Ankunft immer noch von Schlamm bedeckt. Deshalb hatten Belle und Vera keine Zeit zum Haarewaschen oder Briefeschreiben. Sobald sie die letzten Verwundeten ins Lazarett gebracht hatten, gingen sie in die einzelnen Stationen, um auch dort zu helfen. Die regulären Krankenstationen waren zum Bersten gefüllt, und man hatte große Zelte errichtet, um die übrigen Verwundeten aufzunehmen. Viele der Ärzte und Schwestern hatten achtundvierzig Stunden ohne Unterbrechung gearbeitet.
»Captain Taylor möchte, dass wir morgen die Männer, die nachHause dürfen, nach Calais bringen«, berichtete Vera, während sie ihr Sandwich hinunterschlang. »Das bedeutet wohl, dass noch mehr Verwundete kommen.«
»Tja, das werden wir wahrscheinlich als Letzte erfahren. Doch lass uns lieber wieder zum Bahnhof fahren! Keine Ruhe für die Gottlosen.«
»Du hast in letzter Zeit gar nicht du-weißt-schon-wen erwähnt«, sagte Vera, als sie zu ihren Rettungswagen zurückgingen.
»Ich versuche, nicht an ihn zu denken«, erwiderte Belle. »Allerdings mit wenig Erfolg.«
Vera legte mitfühlend eine Hand auf Belles Arm. »Kaufen wir uns morgen in Calais irgendwo was zu trinken und saufen uns die Hucke voll, wenn wir wieder hier sind. Vielleicht hilft uns das, ein, zwei Stunden nicht an die Menschen zu denken, die wir lieben.«
Belle dachte über Veras Vorschlag nach, als sie zum Bahnhof fuhr. David schlief halb. Wie die meisten von ihnen hatte auch er tagsüber in den Krankenstationen geholfen. Im Lazarett waren alle am Ende ihrer Kräfte, nicht nur von den endlosen Stunden der Arbeit, sondern von dem unfassbaren Grauen, das sie Tag für Tag sahen und für das kein Ende in Sicht zu sein schien. Belle und Vera waren nicht die Einzigen, die sich um Freunde oder Verwandte an der Front sorgten; fast jedem ging es genauso wie ihnen. Dazu kamen die Familien daheim, die mit der Lebensmittelknappheit zu kämpfen hatten und Bombenangriffen ausgesetzt waren, um Angehörige in Frankreich bangten und sich fragten, ob das Leben je wieder so sein würde, wie es vor dem Krieg gewesen war.
Mogs Briefe hatten sich seit Blessards
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